Exklusiv-Interview
Barbara Maas, sollte jede Redaktion agil arbeiten?
Agile Arbeitsweisen sind en vogue. Aber können Methoden wie Scrum auch im Journalismus nützlich sein? Expertin Barbara Maas erklärt im Interview, wie und wann Redaktionen agil arbeiten können.
Barbara Maas, wie agil sind Journalist:innen?
Barbara Maas: Eigentlich arbeiten viele Journalist:innen schon ziemlich agil, ohne es zu wissen. Sie sprechen sich in Konferenzen ab, aktualisieren vor allem im Nachrichtenjournalismus immer wieder ihre Berichte und Texte und in regelmäßigen Abständen sollte es eine Blatt- oder Sitekritik geben. Gleichzeitig haben wir in der Branche aber immer noch ein starkes Hierarchiedenken. Und Hierarchien sind in den agilen Arbeitsweisen wie Scrum und Kanban nicht vorgesehen.
Was macht denn eine agile Arbeitsweise aus?
Maas: Das Wichtigste dabei ist das selbstorganisierte Team. Beim agilen Framework Scrum gibt es verschiedene Rollen: Die:der Scrum-Master:in ist dafür verantwortlich, das Scrum richtig angewendet wird und alle verstehen, was sie tun. Diese Person schaut immer, dass jede:r arbeiten kann. Wenn es mal irgendwo klemmt, wird nach einer Lösung gesucht. Die:der Product-Owner:in organisiert und priorisiert Aufgaben, hält Kontakt zu Stakeholdern und schaut immer darauf, was gerade das Beste für das Produkt bzw. dessen Entwicklung ist. Und dann gibt es natürlich das Team, das seine Arbeit macht: zum Beispiel Software entwickeln. Agile Methoden wie Scrum stammen aus der Software-Entwicklung.
Wie läuft der agile Arbeitsprozess dann ab und was bedeutet dabei “selbstorganisiertes Team”?
Maas: Im Scrum haben wir nicht das fertige Produkt vor Augen und planen den ganzen Prozess im Detail durch, sondern wir nehmen uns Aufgaben in kleineren Etappen vor. Diese Etappen sind die Sprints, die zwei bis vier Wochen dauern. Ein Sprint ist immer gleich lang. In der Sprintplanung bespricht und entscheidet das Team, was es in der Zeit schaffen kann. Im Daily Scrum tauschen sich die Teammitglieder jeden Tag kurz über Fortschritte und Fallstricke aus. Am Ende jedes Sprints, der eigentlichen Arbeit, wird gemeinsam evaluiert. In der Review geht es um das Produkt: Was wurde erreicht, was nicht? In der Retrospektive schaut sich das Team an, was in der Zusammenarbeit gut lief, wo es gehakt hat und was beim nächsten Mal besser gemacht werden kann. Und danach wird der nächste Sprint geplant.
Sie haben selbst agil gearbeitet. Was ist bei diesen Prozessen besonders wichtig?
Maas: Viele verwechseln Agilität mit Chaos. Aber das Gegenteil ist richtig: Agile Arbeitsweisen begegnen dem Chaos im Alltag mit Struktur, Eigenverantwortung und Transparenz. Gleichzeitig bietet zum Beispiel Scrum auch Flexibilität, weil das Team immer wieder hinterfragt, was als nächstes getan werden muss. Auf unvorhergesehene Ereignisse kann ein Team so leichter reagieren und wird nicht komplett aus der Bahn geworfen. Im Alltag stehen dem vor allem in traditionellen Unternehmen Hierarchien im Weg. Die Verantwortung wird ja von einer leitenden Person auf alle übertragen. Chef:innen möchten nicht auf ihre bisherige Entscheidungshoheit verzichten und auch manche Mitarbeiter:innen arbeiten gern mit klaren Anweisungen von oben. Da kann Selbstorganisation auch mal überfordern. Eine klare Kommunikation ist also das Wichtigste: über Ziele, Arbeitsweisen, Werte, Probleme und Hemmnisse. Agil zu arbeiten heißt nicht unbedingt, schneller zu arbeiten. Vor allem nicht in der Zeit der Einführung, wenn alle die neue Arbeitsweise lernen.
Ein Team ohne Chef:in - im Journalismus ist das eigentlich nicht vorstellbar, oder?
Maas: Die hierarchischen Strukturen sind oft tief in Redaktionen verwurzelt. Allerdings gibt es natürlich auch in Organisationen, die nach Scrum organisiert sind, Abteilungsleiter:innen und Chef:innen. Nur sind die Hierarchien flacher. Und die Führungskräfte stehen als Stakeholder außerhalb des eigentlichen Teams. Der Kontakt läuft dann über die:den Product Owner:in. Wenn Redaktionsleiter:innen weniger operativ entscheiden, was machen sie dann stattdessen? Wie können Führungsrollen im Journalismus neu definiert werden? Das sind spannende Fragen.
Was müsste sich noch ändern für agile Prozesse?
Maas: Zum Beispiel eine gute Feedback-Kultur. Es ist wichtig, fundierte Rückmeldung zu geben und zu bekommen, damit Ergebnisse besser werden können. Von agilen Methoden kann man sich außerdem eine konsequente Orientierung an den Nutzer:innen und ihren Bedürfnissen abschauen. Das kennen wir im Journalismus zwar, es wird aber nicht immer stringent durchgehalten.
Wenn eine Redaktion nun agil arbeiten möchte, wie soll sie vorgehen?
Maas: Wenn sich ein Start-up und damit eine neue Redaktion gründet, dann können diese agilen Strukturen von Anfang an mitgedacht werden. Das halte ich für sinnvoll. Wenn sich ein etabliertes Medienhaus aber jetzt entscheidet, die Redaktion komplett agil aufzuziehen, dann bedeutet das einen Bruch mit den bestehenden Strukturen. Es braucht dafür einen sehr umfangreichen Changeprozess mit sehr viel Arbeit und Umdenken für alle Mitarbeiter:innen.
Lohnt sich der Aufwand?
Maas: Etwas Neues auszuprobieren und zu experimentieren lohnt sich immer, aber ein kompletten Umbruch in der gesamten Organisation anzugehen, ist eine riesige Aufgabe - das muss gut überlegt sein. Ich mache mich mit dieser Aussage bei vielen anderen agilen Coaches unbeliebt, aber ich finde, dass sich Redaktionen für den Anfang auch nur bestimmte Teile oder Prinzipien heraussuchen können, die für sie passen. Nach der reinen Lehre ist das dann zwar kein Scrum. Aber ist das wirklich ein Problem? Man könnte auch mit agilen Inseln experimentieren, während andere Abteilungen weiterhin in den tradierten Strukturen verbleiben - je nach Aufgaben.
Also sollte nicht jede Redaktion agil arbeiten?
Maas: Nein, so pauschal würde ich das nicht sagen. Aber: Redaktionen könnten durchaus mal mit diesen Arbeitsweisen experimentieren, zum Beispiel in einem Projekt. Im Alltag kann auch sehr gut mit einer Retrospektive anfangen. Regelmäßige, moderierte Meetings, in denen es um die Fragen geht: Wie haben wir im letzten Monat als Team zusammengearbeitet? Was haben wir gelernt? Was können wir künftig ändern? Solche Feedback-Runden sind wichtig. Sie stärken nicht nur den Zusammenhalt im Team, sondern helfen auch das Produkt oder das Projekt insgesamt zu verbessern.
Barbara Maas
Barbara Maas unterstützt als Trainerin und Coachin Journalist:innen und Medienprofis im digitalen Wandel. Sie liebt Innovation, Serious Play und die Dynamik von Teams. Nach Stationen als Redakteurin bei den Westfälischen Nachrichten, Newsdeskleiterin von shz.de und Newsleaderin Digital bei der Berliner Zeitung stürzte sie sich 2018 im HHLab von mh:n Medien und NOZ Medien für zwei Jahre als Product Ownerin ins Design Thinking und in agile Methoden.