Die Hälfte der Macht: Wie gendergerecht sind deutsche Medien?
Über das Für und Wider der Frauenquote schreiben Journalist:innen genauso lange, wie Wirtschaft und Politik darüber streiten. Wie sieht es bei den Berichterstatter:innen selbst aus?
Da ist sie nun. Vor zwei Wochen hat die Große Koalition nach langem Ringen eine Frauenquote beschlossen. Zum ersten Mal wird es damit eine verpflichtende Vorgabe für mehr Frauen in Vorständen geben. Zwar beschränkt sich die Mindestbeteiligung auf Wirtschaftsunternehmen –und aus denen ist auch schon heftige Kritik zu hören – aber der Weg ist bereitet.
Timing bewies das Magazin Stern. Parallel zum Beschluss brachte das Magazin die Titelgeschichte "Ich bin eine Quotenfrau" inklusive multimedialem Projekt heraus. Auf dem Cover: prominente Frauen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Die Story polarisierte – nicht nur in den sozialen Netzwerken. Andere Medien haben sie zum Anlass für eigene Beiträge genommen. Und auch hier wird der Begriff Frauenquote und all seine Forderungen, die er mit sich bringt, vor allem auf die Wirtschaft bezogen. Wie sieht es aber bei den Berichterstatter:in der Debatte selbst aus? Wie gendergerecht ist die deutsche Medienbranche?
50 Prozent - nicht mehr und nicht weniger
Hier lohnt sich abermals der Blick in den Stern, oder besser gesagt, in seine Redaktion. Unter Deutschlands Leitmedien ist das Magazin neben der "taz" das einzige, in dem Frauen mindestens so viel Verantwortung tragen wie Männer. Zu dem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Print- und Onlinemedien, vorgestellt Anfang August 2020 vom Verein Pro Quote Medien. Seit 2012 untersucht die Initiative, wie groß der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Rundfunk, Print- und Onlinemedien sowie Regionalzeitungen ist. Das Ziel von Pro Quote: „Wir kämpfen dafür, dass aus Chef Chefin wird." Wie das erreicht werden soll, lässt der Name Pro Quote schon vermuten. Der Verein fordert, dass 50 Prozent der Führungspositionen in den Redaktionen mit Frauen besetzt werden. Laut den Studien von Pro Quote erreichen nur wenige deutsche Medienhäuser die 50-Prozent-Marke – meistens nur annähernd. Beim Blick in die Führungsetage ausgewählter Bereiche wird das deutlich – lediglich weiblich sind:
20 Prozent der Chefredakteur:innen sowie ihrer Stellvertreter:innen in zehn überregionalen Tages- und Wochenzeitungen
drei der zwölf Intendant:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
sieben Prozent der Chefredakteur:innen von Regionalzeitungen (Zahlen: Pro Quote).
In den Online-Redaktionen ist die Zahl dagegen vergleichsweise hoch: Hier stellt Pro Quote einen Anteil von 30 Prozent weiblicher Führungskräfte fest. Das klingt erst einmal gut. Doch auch 30 Prozent sind dem Verein zu wenig, schließlich machen Frauen die Hälfte der Bevölkerung aus, da sollte ihnen auch die Hälfte der Macht zu stehen.
Pro Quote oder nicht?
Mehr Frauen in Führungspositionen - wer möchte das schon lautstark ablehnen? Eine Quote, wie jetzt von der Großen Koalition beschlossen, ist jedoch immer von oben beschlossen. Das Gefühl des Zwangs mag kaum gefallen, wie die Kritik der Wirtschaftsunternehmen in der aktuellen Debatte zeigt. Ob börsennotierter Konzern oder regionales Medienhaus, es stellt sich überall die Frage, ob ein politisches Eingreifen gerechtfertigt ist. Der Verein Pro Quote hat sich für diese scheinbar ewige Diskussion gewappnet und präsentiert auf seiner Webseite "Zehn Argumente für die Frauenquote". Die Titelgeschichte des Stern zeigt aber auch, das von dem auferlegten Instrument nicht alle begeistert sind, wie das Magazin selbst berichtet. Demnach wollten sich viele für die Story angefragte Top-Unternehmerinnen nicht ablichten lassen: Sie fürchten doofe Sprüche ihrer männlichen Kollegen. Die Gründe mögen unterschiedlich seien, wissen sollten jedoch alle Quotenbefürworter:innen: Sie werden nie für alle Frauen sprechen. Einige von ihnen möchten gar keine Quotenfrauen sein. Dafür seien sie zu stolz und zu selbstbewusst, eine Bevorzugung empfänden sie als Herabwürdigung. Gegner:innen der Quote führen weitere Argumente ins Feld, wie die Benachteiligung der Männer und das Prinzip der Leistungsgesellschaft: Ausbildung und Expertise sollten zählen, nicht das Geschlecht. Es sei schließlich keine Qualifikation.
Wettbewerb statt Quote
Ob nun Quote oder nicht - über das Für und Wider lässt sich sicherlich streiten. Eindeutig ist dagegen: Es braucht mehr Frauen in Führungsetagen deutscher Medienhäuser. Warum ist das im Journalismus zwingender als beispielsweise in der Wirtschaft? Guter Journalismus bildet die Vielfalt in der Gesellschaft ab. Das gelingt am besten, wenn die Berichterstatter:innen an Herkunft, Geschlecht und Hintergrund so divers sind wie ihre Leser:innen. Dass sich etwas in den Redaktionen und Chefetagen tun muss, ist der Branche selbst längst bewusst. In den Diskussionen geht es dabei aber oft um mehr Journalist:innen mit Migrationshintergrund oder einer Behinderung, nicht aber um mehr weibliche Führungskräfte. Kann ein Kulturwandel in den Redaktionen nur durch Zwang entstehen? Oder lässt sich darauf vertrauen, dass die meisten männlichen Chefredakteure freiwillig eine Frau auf ihren Posten nachfolgen lassen? Das es abseits der müde diskutierten Pfade einen Mittelweg gibt, zeigt die BBC. Vor zwei Jahren hat die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ihre Redaktionen zu einer „Challenge“ aufgerufen. Jeden Tag sollte das Programm der BBC-Sender hinsichtlich der Zahl der Reporter sowie Reporterinnen und der Protagonisten und Protagonistinnen der Beiträge analysiert und eine gleichberechtigte Verteilung erreicht werden. 500 Teams hatten sich dem sogenannten "50:50-Projekt" angeschlossen. Bereits ein Jahr danach zeigt sich der Erfolg. Ganz ohne Quote produzieren mittlerweile 74 Prozent der Teams Sendungen, an der zur Hälfte Frauen beteiligt sind. Der Großteil der restlichen Redaktionen habe laut der BBC-Analyse einen Anteil von wenigstens 40 Prozent.
Die Initiative der BBC lässt sich sicherlich leichter innerhalb einer der größten Sendeanstalten der Welt umsetzen als in einer Lokalredaktion mit einer limitierten Anzahl an Mitarbeiter:innen. Dennoch zeigt das Beispiel, es gibt andere Wege und sie können erfolgreich sein. Kreativität ist weiterhin gefragt, damit Journalist:innen diesen Weg einer gendergerechten Gesellschaft nicht nur in Trippelschritten gehen, sondern mit gutem Beispiel für andere Branche voranschreiten.