Exklusiv-Interview

Gründer des kohero-Magazins: „Neben starken Inhalten und stabiler Finanzierung ist Öffentlichkeitsarbeit ein Erfolgsfaktor“

Artikelbild: Gründer des kohero-Magazins: „Neben starken Inhalten und stabiler Finanzierung ist Öffentlichkeitsarbeit ein Erfolgsfaktor“
© Sven Mangel

Hussam Al Zaher ist aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Aus dem Nichts hat er mit viel Engagement das kohero-Magazin aufbaut. Mittlerweile gibt‘s Online-Medium, gedrucktes Heft und Podcasts.

Hussam Al Zaher, du musstest vor sieben Jahren deine Heimat Syrien wegen des Kriegs verlassen. Jetzt bist du hier in Deutschland erfolgreicher Gründer eines journalistischen Mediums, dem kohero-Magazin. Wie hat diese Reise begonnen?

Hussam Al Zaher: Dass wir jetzt bei kohero eine Online-Plattform, ein Printmedium und auch verschiedene Podcasts produzieren und bespielen, resultiert natürlich aus einem langen Prozess. Und dieser war nicht einfach. Als ich 2015 aus Syrien nach Deutschland kam, habe ich mich über die Medienberichte gewundert. Es wurde zwar über uns, die Flüchtlinge, gesprochen, aber nicht mit uns. Es ging viel zu oft nur um Zahlen. Die Medien haben vergessen, dass wir auch Menschen sind, jeder hat seine Geschichte, seine Kultur, seinen Beruf – und jeder ist anders. Diese individuellen Geschichten über die Geflüchteten gab es selten zu lesen, zu sehen oder zu hören. Und das wollte ich ändern.

Du hattest also eine Idee?

Hussam: Genau. Ich wollte genau diese Geschichten der geflüchteten Menschen erzählen, die mir in den deutschen Medien gefehlt haben. Da ich selbst Journalist bin und in Syrien bereits ein paar Jahre als Journalist gearbeitet habe, wusste ich zwar, wie ich berichten kann, aber ich hatte keine Ahnung, wie man ein eigenes Medium gründet.

Wie bist du dann weiter vorgegangen?

Hussam: Ich habe einen Workshop zu Gründungen besucht, mich weitergebildet und während dieser Zeit und mit diesem Wissen meine Idee entwickelt. Außerdem habe ich mich um ein Netzwerk bemüht. Wegen eines Projekts könnte ich den Kontakt mit einer freien Journalistin vom NDR knüpfen. Mit ihr habe ich über das Vorhaben diskutiert. Das war wie ein Reifeprozess. Wir haben die Idee quasi weitergedacht. Und ich muss sagen: Ich habe dadurch viele Freunde gefunden, die mir immer wieder geholfen haben – zum Beispiel mit der Webseite. Die hat ein deustcher Freund von mir gestaltet, weil er auch an die Ideen geglaubt hat. Die befreundeten Journalist:innen haben das Korrektorat übernommen, denn die deutsche Sprache ist wirklich nicht einfach.

Die sechste Ausgabe des kohero-Magazins. Es geht um Sportler:innen, über Rassismus, Träume und Ankommen. Bild: kohero

Hast du von Beginn an auf Deutsch publiziert?

Hussam: Ja, das war mir wichtig. Deutsch ist die gemeinsame Sprache zwischen Deutschen und Geflüchteten. Über die Wörter werden wir verbunden, über sie lernen wir uns kennen und verstehen.

Wie schwer ist dir diese Entscheidung gefallen?

Hussam: Die Entscheidung, auf Deutsch zu schreiben, ist mir gar nicht schwer gefallen. Aber das Schreiben an sich war natürlich sehr schwierig. Es ist etwas ganz anderes, nicht auf seiner Muttersprache zu publizieren. Das schafft man nicht von jetzt auf gleich – das ist ein langer Prozess, bei dem wir auch wieder meine Freunde und Bekannte vom NDR geholfen haben. Durch ihre Korrekturen habe ich Deutsch gelernt, ich habe verstanden, wie ich Sachverhalte zusammenbringe, wie ich einen Kontext herstelle. Sie haben meine Texte alle gelesen und mit mir besprochen, damit ich mich nicht falsch oder missverständlich ausdrücke. Dafür bin ich immer noch sehr dankbar.

Wann hast du deinen ersten Artikel beim kohero-Magazin veröffentlicht?

Hussam: Ich hatte Mitte 2016 die Idee für das Magazin, habe dann den Workshop besucht und Ende 2016 bin ich die ersten Schritte Richtung Webseite gegangen. Damals hießen wir noch Flüchtlingsmagazin. Unter diesem Namen haben wir Anfang 2017 die ersten Artikel veröffentlicht. Aber ich bin mit Papier aufgewachsen. Ich liebe es, eine gedruckte Zeitung zu lesen. Darum wollte ich neben dem Online-Auftritt auch ein Print-Heft herausgeben. Aber das ist tatsächlich noch einmal ein ganz anderer Stress.

Und ein gedrucktes Magazin kostet ja auch deutlich mehr. Wie hast du das gestemmt?

Hussam: Wir haben 2018 dafür ein Crowdfunding gestartet – erfolgreich. Und mit einer Forderung der ZEIT-Stiftung konnte das erste Heft in den Druck gehen. Mittlerweile finanzieren wir das Magazin über Spenden, manchmal auch Anzeigen wie bei der Online-Plattform. Wir möchten jetzt aber ein Abonnement-System und regelmäßige Spenden entwickeln, damit wir eine stabilere Finanzierung gewährleisten.

Hast du Mitarbeiter:innen? Alleine ist das ja nicht machbar.

Hussam: Ja, wir sind zu viert. Ich bin Chefredakteur, dann unterstützen mich noch Natalia Grote als Redaktionsleiterin, Sarah Zaheer als Podcastleiterin und Angelika Willigerod-Bauer in der Redaktionsorganisation. Aber wir werden auch von 90 Ehrenamtlichen unterstützt. Dieses Team ist vor allem aus unserem Projekt "schreibtandem" entstanden, bei denen deutsche Journalist:innen, Schriftsteller:innen oder Autor:innen mit Geflüchteten gemeinsam Inhalte produzieren. Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir von so vielen Menschen ehrenamtlich unterstützt werden.

Das kohero-Magazin hat nicht nur textlich einiges zu bieten. Die Journalist:innen produzieren auch Podcasts - etwa "curry on!". Die beiden Schwestern Sarah und Maya Zaheer besprechen Themen, die die südasiatische Diaspora in Deutschland bewegen. Von Gastfreundschaft über Feminismus, interkulturelles Zusammenleben und koloniale Schönheitsideale – ein bunter Mix, wie es ein gutes Curry eben sein sollte. Grafik: kohero

Was sind jetzt die nächsten Schritte des kohero-Magazins?

Hussam: Wir wollen kohero finanziell stabiler aufstellen. Darum entwickeln wir derzeit ein neues Abo-Modell. Außerdem möchten wir mehr Menschen ansprechen, weswegen wir beispielsweise neben unserem Podcast "multivitamin", der sich um Flucht, Migration und Zusammenhalt dreht, einen Community-Podcast für den südostasiatischen Raum "curry on!" aufsetzen. Wir arbeiten immer an neuen Formaten, um möglichste viele Menschen anzusprechen. Unser Fokus liegt dabei vor allem auf jungen Leuten. Durch eine wachsende Community und ein sinnvolles Abo-System wird kohero finanziell unabhängig. Das ist uns wichtig.

Wie sieht die Finanzierung aktuell aus?

Hussam: Wir finanzieren uns zum überwiegenden Teil über freiwillige Spenden aus unserer Community. Wir haben keine Paywall, sondern nutzen die Mitglieder-Plattform Steady, um Spenden zu akquirieren. Die Druckkosten für das Print-Magazin werden mit verkauften  Anzeigen gedeckt. Aber die Finanzierung ist immer noch eine Herausforderung.

Das kohero-Magazin finanziert sich derzeit von freiwilligen Spenden.

Gibt es weitere Herausforderungen?

Hussam: Da wir viel mit Ehrenamtlichen arbeiten gibt es wenig Verantwortlichkeiten. Das macht die Arbeit und vor allem die Planungssicherheit nicht einfach. Projektbezogen ist das gut und macht Spaß, für einen ständigen Redaktionsbetrieb geht das allerdings nicht. Daran müssen wir arbeiten. Eine weitere „Baustelle“ ist Eigenwerbung, diese haben wir ziemlich lange vernachlässigt. Denn neben starken Inhalten und stabiler Finanzierung ist Öffentlichkeitsarbeit ein Erfolgsfaktor. Wenn uns keiner kennt, liest uns auch keiner und es unterstützt uns keiner.

Wenn du auf deine mehrjährige Gründungsphase blickst: Gibt es etwas, das du mit deinem heutigen Wissen anders machen würdest?

Hussam: Gute Frage. Es gibt zwei Arten von Menschen: Die einen bereiten alles bis ins kleinste Detail vor – und machen Fehler dabei. Die anderen legen einfach los – und machen genauso Fehler. Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Es gibt also vieles, was ich mit meinem heutigen Wissen anders machen würde, aber ich lerne aus meinen Fehlern. Ich habe aus meiner Sicht keine Zeit verschwendet, sondern einfach etwas gestartet – und das war gut so. Jetzt gilt es, dranzubleiben und kohero weiterzuentwickeln.

Zum Schluss: Wenn du dein kohero-Magazin mit drei Worten beschreiben musst, welche wäre das und warum?

Hussam: Multimedial – weil wir das sind und so denken. (Neues) Ausprobieren – weil wir das immer tun. Reden – weil uns das auszeichnet.

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Hussam Al Zaher (kohero-Magazin) -

Hussam Al Zaher studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur vom kohero-Magazin. Bild: Sven Mangel