Exklusiv-Interview

Lorenz Maroldt, sind Newsletter eine Konkurrenz zur Zeitung?

Artikelbild: Lorenz Maroldt, sind Newsletter eine Konkurrenz zur Zeitung?
Post - allerdings per E-Mail! Newsletter schaffen Nähe zwischen Leser:innen und Journalist:innen. © Markus Winkler (Unsplash)

Das Besondere an Newslettern ist für Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, der direkte Draht zu Nutzer:innen. Vor allem Lokalredaktionen könnten mit dem Format bei Leser:innen punkten.

Herr Maroldt, der Tagesspiegel vertreibt einige erfolgreiche Newsletter - darunter etwa den bekannten “Checkpoint”. Was gefällt Ihnen an dem Format Newsletter?

Lorenz Maroldt: Mir gefällt die Interaktion zwischen unseren Leser:innen und uns Journalist:innen. Ich hatte noch nie so viel Austausch mit Abonnent:innen wie durch den täglichen “Checkpoint”. Die E-Mail schafft Nähe, sie kommt direkt ins Postfach, die Empfänger:innen schauen kurz rein und lesen. Wenn sie wollen, können sie einfach auf Antworten drücken und uns Feedback geben. Das ist goldwert, weil dieser Dialog uns als Redaktion nicht nur nahbarer macht, sondern uns auch ganz praktisch an Themen bringt. 

Wie groß ist die Rückmeldung von Leser:innen?

Maroldt: Die Rückmeldungen sind enorm, aber das ist natürlich auch themenabhängig. Wir hatten mal ein Bingo aus Betriebsstörungen bei der Bahn; jeden Tag haben wir eine kuriose Ansage publiziert. Das ist ein Thema, bei dem so gut wie jede:r mitreden kann. Leser:innen haben uns immer neue Bahn-Ausreden zugeschickt. Die Resonanz war riesig. So etwas macht dann richtig Spaß - uns und den Abonnent:innen. Aber Newsletter wie der “Checkpoint” bestehen natürlich nicht nur aus Spaß. Wir haben einmal ein Jahr lang jeden Tag eine “Schrottschule” vorgestellt - hier ein eingestürztes Dach, dort kaputte Fenster. Durch die Kontinuität - jeden Tag gab es wieder ein katastrophales Beispiel - haben wir Druck auf die Politik ausgeübt. Nicht nur, aber auch wegen der Berichterstattung haben die Verantwortlichen Maßnahmen getroffen. Das ist auch eine Erfolgsgeschichte vom “Checkpoint”. 

Werden die Newsletter so zu einer Konkurrenz der Zeitung?

Maroldt: Wenn Newsletter eine Konkurrenz zu unserer Zeitung werden, dann haben wir kein Problem mit den Newslettern, sondern mit der Zeitung. Der Tagesspiegel ist mehr als eine E-Mail, er deckt alle Nachrichten ab, berichtet ausführlich. Das kann ein Newsletter in der Fülle nicht leisten - und muss er auch gar nicht. Darum kannibalisieren sich die beiden Produkte auch nicht. Die Mailings sind ein Zusatzangebot zur Zeitung, oftmals ein Exzerpt vom Hauptprodukt. Obwohl ich beim “Checkpoint” gerne auch Inhalte anderer Medien teile - sofern sie Berlin thematisieren. Das ist mir wichtig. 

Warum?

Maroldt: Es ist einfach authentischer. Beim “Checkpoint” geht es um Berlin und über diese Stadt, über die Politik, die Wirtschaft, die Kultur - und darüber berichten eben viele. Wenn ich in anderen Medien gute Stücke lese, will ich die unseren Leser:innen nicht vorenthalten. Das ist das Konzept, und das schätzen die Abonnent:innen auch. Der Newsletter ist ein kompakter Blick auf ein Thema oder eben auf eine Stadt, eine Region - da gehören andere Artikel dazu.

Macht dieser “kompakte Blick” einen Newsletter aus?

Maroldt: Newsletter sind wie die Zeitung ein abgeschlossenes Produkt. Das ist das Tolle daran. Unsere Abonnent:innen können sich sicher sein, dass sie das vollständige Bild zu einem Sachverhalt bekommen. Ich vergleiche das immer mit einem Restaurant: Auf einem Sushi-Band rollen alle möglichen Gerichte an Ihnen vorbei. Sie können sich aber nie sicher sein, ob Ihr Lieblingsgericht gerade schon von jemandem vor Ihnen herausgenommen wurde oder ob es noch in der Küche zubereitet wird. Diese Phänomen haben wir oft bei Social Media oder Online-Portalen. Überall sind Informationen, es geht immer weiter, es gibt kein richtiges Ende. Newsletter agieren eher wie ein Sterne-Restaurant: Sie gehen hinein, vertrauen dem Chef, geben ihm das Geld und er serviert Ihnen das beste Gericht. Wer unseren Newsletter abonniert, schenkt uns auch das Vertrauen, dass er das beste Produkt, die besten Informationen zu eben jenem Thema bekommt. 

Eignet sich jedes Thema für einen Newsletter?

Maroldt: Unsere kostenlosen wie auch kostenpflichtigen Newsletter haben ganz unterschiedliche Themen von Queer bis Ehrenamt, von Klima bis Verkehr. Die erfolgreichsten Newsletter bleiben aber die regional- bzw. lokaljournalistischen wie der “Checkpoint” über Berlin oder “Leute” über die Bezirke mit jeweils mehr als 120.000 Abonnenten. Das liegt erstens daran, dass jede:r an dem interessiert ist, was vor ihrer:seiner Haustür passiert, und dass es nirgendwo sonst in der Qualität steht. 

Woher kommen die Ideen für die Newsletter und wie läuft dann die Entwicklung ab?

Maroldt: Die Ideen kommen eigentlich immer aus der Redaktion heraus, sie entstehen in der täglichen Arbeit mit Menschen, mit Themen. Wir involvieren dann verschiedene Abteilungen wie IT, Marketing, Vertrieb und diskutieren gemeinsam die richtige Vorgehensweise. Ein neues Produkt zu launchen bedeutet auch immer zu kalkulieren, ob das Investment sich lohnt. Wie viel kostet die Technik, braucht es neues Personal, wie sieht die Vermarktung aus, wen wollen wir überhaupt ansprechen? Eine Idee ist erst mal nur eine Idee, die Rahmenbedingungen müssen aber auch passen - und da arbeiten wir teamübergreifend. 

Wollen Sie noch mehr Newsletter entwickeln oder ist der Bedarf langsam gedeckt

Maroldt: Wir merken nach wie vor, dass das Format nachgefragt ist. Das Schöne an diesem Produkt ist ja, dass wir in unserem Tracking genau sehen können, wer was wann wie oft liest und wer weiterführende Links klickt. Diese Werte zeigen uns das Interesse, das nach wie vor vorhanden ist. Darum sind wir immer an der Entwicklung neuer Ideen. 

Wenn Sie einen neuen Newsletter gelauncht haben, woran machen Sie fest, dass er erfolgreich ist? 

Maroldt: Wir bekommen natürlich immer entsprechende Rückmeldungen von unseren Leser:innen. Aber, wie gesagt, ohne Zahlen geht bei der Beurteilung nichts. Wir haben für unsere Newsletter ein eigenes Dashboard gebaut, das uns alle Zugriffe anzeigt. Die Opening-Rate ist etwa ein für uns wichtiger Wert. Beim “Checkpoint” wissen wir, dass die Abonnent:innen von den sechs Ausgaben in der Woche etwa drei bis vier durchschnittlich lesen. Wir können auch sehen, dass manche Unternehmen den Newsletter intern weiterleiten, weil wir manchmal über eine E-Mail-Adresse 600 Zugriffe haben. Auch wo unsere Leser:innen sitzen, wissen wir - sie leben nicht nur in Berlin, sondern sind quer über den Globus verteilt. Interessant ist für uns auch, mit welchem Endgerät die Nutzer:innen die E-Mails lesen. Tablet-User:innen machen etwa nur fünf Prozent aus, also wissen wir: eine Optimierung der Darstellung auf dem Tablet können wir bei Updates nach hinten stellen, während Desktop- und Handy-Nutzer:innen sich die Waage halten. Diese Werte helfen uns bei der Optimierung unseres Produkts - und es ist wichtig, dass wir uns auch wirklich damit auseinandersetzen, um ein gutes Angebot zu liefern.  

Helfen Ihnen die Newsletter auch bei den Abonnements für die Zeitung?

Maroldt: Ich schreibe das zwar nicht oft, aber hin und wieder setze ich in meinen “Checkpoint” eine Art Reminder, so etwas wie “Die Zeitung gibt es übrigens auch”, manchmal noch verbunden mit einem neuen Abo-Angebot. 

Kommt das gut an?

Maroldt: Ich bekomme dann tatsächlich manchmal Antworten von Newsletter-Abonnent:innen, die ein “schlechtes Gewissen” haben, weil sie ein kostenloses Angebot konsumieren, aber das Hauptprodukt nicht beziehen. Es sind daraus also durchaus Print-Abos entstanden. Aber zu oft machen wir das nicht. 

Der Tagesspiegel setzt auf Newsletter. Empfehlen Sie das Format auch anderen Redaktionen? 

Maroldt: Die meisten haben ja schon irgendeinen Newsletter und damit den Trend erkannt. Das ist gut. Ich halte Newsletter für ein tolles Produkt, das Lesern einen Mehrwert bieten kann. Aber es muss kontinuierlich entwickelt werden, es braucht guten Content und auch Redakteur:innen, die diesen produzieren. Ein Newsletter sollte keine Link-Schleuder der Zeitung sein, sondern für sich stehen können. Er muss einfach gut gemacht sein - wie die Zeitung eben auch. 

Lorenz Maroldt » bei Wikipedia nachschlagen

Lorenz Maroldt - Bild: Mike Wolff
Bild: Mike Wolff

Lorenz Maroldt ist seit 2004 Chefredakteur der Tageszeitung Der Tagesspiegel. Besondere Beachtung und mehrere Auszeichnungen hat Maroldt für den Newsletter „Tagesspiegel Checkpoint“ erhalten. Maroldt verfasst diesen täglichen E-Mail-Newsletter über das Berliner Tagesgeschehen seit Ende 2014.