Gründungsboom in Übersee: Learnings für journalistische Start-ups
Die Studie Project Oasis liefert interessante Details zu journalistischen Neugründungen in den USA und in Kanada. Wir haben die Learnings für Start-ups zusammengefasst.
Project Oasis – das ist die umfangreichste Studie zu digitaljournalistischen Neugründungen der vergangenen zehn Jahre. In Zusammenarbeit mit der Google News Initiative, Local Independent Online News (LION) Publishers und Douglas K. Smith hat das Center for Innovation and Sustainability in Local Media (CISLM) hunderte Daten von News-Start-ups in den USA und Kanada ausgewertet. Im März 2021 wurden die Forschungsergebnisse mit einem dazugehörigen Playbook veröffentlicht. Dieses Playbook soll Learnings und Herangehensweisen für Gründer:innen zusammenfassen und damit aufstrebenden Medienorganisationen helfen, ein nachhaltiges Fundament für ihr digitales Geschäftsmodell zu entwickeln.
Starthilfe für Start-ups
Lokalredaktionen großer und mittelständischer Verlage sind seit Jahren mit ihrer eigenen digitalen Transformation beschäftigt. Währenddessen hat sich eine große Zahl von kleinen unabhängigen Online-Nachrichtenportalen entwickelt, die teilweise journalistisch vernachlässigte Regionen bedienen:
These digital-native outlets now number in the hundreds in the United States and Canada alone, having seen explosive growth in the last decade. Many operate in communities that have been overlooked by established news organizations.
Die Studie soll ein Verständnis für die Herausforderungen in diesem Bereich liefern. Außerdem will sie Meilensteine von Start-ups aufzeigen, die sich bereits am Markt etabliert haben. Herausgekommen ist eine Hilfestellung für neue Gründungen. Doch welche Erkenntnisse liefert die Studie im Detail?
1. Mehr als 50 Neugründungen pro Jahr
Es sind ziemlich beeindruckende Zahlen, die Project Oasis aufzeigt. In den vergangenen zehn Jahren haben sich laut Studie die lokalen Nachrichtenseiten in den USA und Kanada versechsfacht. Vor einer Dekade identifizierten die Forscher:innen in beiden Ländern etwa 120 digitale lokale Medien-Start-ups. 2020 zählten sie insgesamt 704, davon wurden 266 in den vergangenen fünf Jahren gegründet - durchschnittlich also mehr als 50 Neugründungen im Jahr.
2. Lokale Themen dominieren
Die Berichterstattung über lokale Nachrichten dominiert bei den noch jungen digitalen Publisher:innen. Bei der Studie haben von den gut 700 Start-ups 255 Unternehmen über Betrieb und Finanzen gesprochen. Zwei Drittel davon gaben an, dass sogar hyperlokale Berichterstattung ein zentraler Bestandteil ihrer redaktionellen Strategie ist. Eine von sieben digitalen Neugründungen arbeitet laut Studie in einer so genannten Nachrichtenwüste („news desert“) in den USA, also in einem Gebiet, in dem eine Zeitung geschlossen wurde oder das traditionell medial unterversorgt war.
3. Finanzexpert:innen dringend gesucht
In den Umfragen wurde klar, dass Gründer:innen oft auf private Mittel zurückgreifen, um den Start zu ermöglichen. Zwei Drittel gaben an, dass sie hauptsächlich ihre Ersparnisse oder andere persönliche Mittel für den Start verwendet haben. Das liege laut Studie auch daran, dass die Gründer:innen oftmals Journalist:innen sind, denen das betriebswirtschaftliche Know-how fehle. Es sei aber von Anfang an wichtig, die Zahlen im Blick zu haben. Darum sollten Start-ups schnell auch Finanzexpert:innen anheuern.
4. Langfristig weg vom Ehrenamt: Personal sukzessive aufbauen
Für eine erfolgreiche Gründung braucht es Project Oasis zufolge aber nicht nur Menschen, die sich mit Zahlen auskennen. Wichtig sind jeweils Mitarbeitende, die
sich um das Publikum und damit auch die Community kümmern, um immer die passende Ansprache zu finden,
die richtigen Vertriebswege definieren,
sich natürlich auch um den Inhalt des Angebots kümmern, sprich Redakteur:innen.
Wer für sein Start-up sukzessive und nachhaltig das richtige Personal mit den verschiedenen Rollen aufbauen will, muss aber auch genug Geld für die Löhne verdienen. Project Oasis fand heraus, dass die meisten neuen Lokalredaktionen winzig sind und bei ihrem Team auf eine Mischung aus Angestellten, freien Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen setzen. Von den 50 Organisationen, die zusätzliche Angaben gemacht haben, setzt die Hälfte davon auf Ehrenamtliche. Diese Zahl fällt mit einem Umsatzanstieg. Dennoch bauen fast alle Unternehmen (92 Prozent) in irgendeiner Form auf jeden Fall auf freie Mitarbeitende und bestehen etwa zu 50 Prozent aus Teilzeitkräften. Je mehr das Unternehmen abwirft, desto höher steigen auch hierbei die Vollzeitbeschäftigten. Dennoch wird klar, dass Start-ups zunächst auf die Unterstützung Geringverdienender angewiesen sind und Gründer:innen umsonst arbeiten und sogar ihr Privatvermögen einsetzen. Dieses Bild zieht sich durch so gut wie alle jungen journalistischen Unternehmen.
5. Diversität im Team schafft höheren Umsatz
Diversität im Team ist nicht nur für den Inhalt und die verschiedenen Aufgabenbereiche in dem Unternehmen wichtig. Die Studie von Project Oasis belegt, dass Vielfalt die Profitabilität und Innovation positiv beeinflusst. In der Umfrage hatten vielfältige Organisationen im Durchschnitt einen 1,5-mal höheren Umsatz.
6. Einnahmen: Werbung, Stiftungen, Leserabos
Alle Gründungen sollten auf einem finanziellen Fundament fußen, das aber natürlich erst einmal aufgebaut werden muss. Die Studie zeigt, dass Start-ups mit verschiedenen Einnahmequellen eher im Markt überleben als Organisationen mit nur einer Quelle. Die Umfrage zeigt weiter, dass Lokalredaktionen genau deswegen auf „wackeligen Beinen“ stehen: Vier von zehn Unternehmen haben nur eine signifikante Einnahmequelle, die 20 Prozent oder mehr der Gesamteinnahmen ausmacht. Ein weiteres Drittel der Redaktionen weist zumindest zwei signifikante Einnahmequellen aus. Die häufigste und oft auch größte sind verkaufte Werbeanzeigen oder auch Content-Sponsoring beziehungsweise gebrandete Postings. Eine weitere Haupteinnahmequelle sind Stiftungsgelder. Etwa ein Viertel der Befragten können auf diese Förderungen zurückgreifen – entweder als Zuwendungen oder als Großspenden. Nach einer Finanzierung durch Abonnements streben viele Start-ups, allerdings gab nur einer von zehn Verlagen an, dass diese Gelder 20 Prozent oder mehr des Gesamtvolumens ausmachen. Generell gab es verschiedene Vertriebsformen, Paywalls hat dabei aber fast keine Redaktion. Die meisten geben ihren Leser:innen eine bestimmte Anzahl kostenloser Artikel vor, bevor sie ein Abo abschließen sollen. Generell erklärten nur relativ wenige Verlage (etwa 20 Prozent), dass ihr Betrieb nachhaltig ist; ein klarer Indikator für Projekt Oasis, dass das Feld der journalistischen Starts noch sehr fragil ist.
7. Digitale Vertriebswege bedenken
Project Oasis zeigt weiter, dass die Webseite und die sozialen Medien die wichtigsten Verbreitungswege für die Verlage sind. Man könnte sogar sagen, dass die Redaktionen nahezu abhängig von den sozialen Netzwerken sind, um den Traffic auf der News-Seite zu steigern. Andere Vertriebswege wie E-Mail-Newsletter sind laut Studie weniger effektiv – obwohl vor allem E-Mails für das Audience Engagement bei Redaktionen beliebt sind, aber sich nicht für die Reichweite an sich eignen.
Das Fazit der Studie fällt laut Forscher:innen für Journalist:innen positiv aus:
„The explosive growth in the last decade of small, independent digital news outlets serving local communities holds great promise as traditional sources of credible journalism decline. Also encouraging: The emerging field has demonstrated resilience. Two-thirds have emerged from the challenging startup phase of their first few years.“
Aber dennoch bleibt die Finanzierung der Redaktion eine zentrale Herausforderung für die Neugründungen. Verlage müssen es schaffen, ihre Leser:innenschaft zu festigen und natürlich zu vergrößern. Darum gibt es am Ende noch die fünf wichtigsten Tipps für Start-ups im Journalismus:
Fünf Learnings der Studie:
Zielgruppe definieren
Publikum aufbauen und an sich binden
Finanzen im Blick behalten
Aufbau einer stabilen bezahlten und diversen Belegschaft: von Redaktion bis Vertrieb und Vermarktung
Entwicklung mehrerer Einnahmequellen
Studien wie die von Project Oasis sind wichtig, um Gründer:innen zu zeigen, auf was sie bei ihrem Start-up oder ihrer Geschäftsidee achten müssen. Der Gründungsboom schafft eine vielfältige Medienlandschaft, was den Journalismus nur voranbringen kann - vor allem in den "news deserts".