Rückblick 2020: Corona-Berichterstattung – einmal Diskurs mit Distanz und Lösungen, bitte!
Mit 2020 liegt ein Jahr voller Herausforderungen hinter dem Journalismus. Es war vom Coronavirus geprägt, die Lungenkrankheit bestimmte die Nachrichten. Ein kritischer Jahresrückblick auf die Medien.
In vergangenen Jahresrückblicken war es schwierig, alle Themen und Perspektiven der 365 Tage abzuhandeln. 2020 ist alles anders. Es gab zwar auch ein paar (wenige) medienrelevante Themen, doch gefühlt wurden alle von einem überspült: Corona - eine weltweite Virus-Pandemie historischen Ausmaßes. Wir wollen in unserem Jahresrückblick die Berichterstattung dazu konstruktiv-kritisch betrachten.
Journalismus zwischen Nachrichtenflut, Abo-Rekorden und Kurzarbeit
Bei großen Lagen – egal ob Terroranschlag oder etwa Corona-Pandemie – kursieren immer sehr schnell Fake-News. Je länger das Covid-19-Virus die Welt bestimmte, desto stärker verbreiteten sich die Falschnachrichten. Daraus entstanden Verschwörungsideologien, die in realen Demonstrationen von so genannten Querdenker:innen mündeten. Eine scheinbar aus den Fugen geratene Welt – und mittendrin ein Journalismus, der zwischen Nachrichtenflut, Kurzarbeit und Sparmaßnahmen mit Stellenabbau agierte. Trotzdem war nie zuvor seriöser Qualitätsjournalismus so wichtig und nachgefragt. Das zeigten Meldungen etwa über die Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Eine vergleichbare Steigerung der Zugriffe auf das digitale Angebot in so kurzer Zeit" habe es "noch nie gegeben", im Vergleich zum Vormonat Februar seien diese um 80 Prozent gestiegen, auch die Zahl der verkauften Abos wachse. DIE ZEIT oder DER SPIEGEL verkündeten ebenfalls Rekorde, schoben aber auch immer wieder Sparmaßnahmen und Kurzarbeit nach. Eine paradoxe Situation.
Journalist:innen mussten plötzlich ins Homeoffice, obwohl der Job von Kommunikation mit Kolleg:innen und Expert:innen lebt. Statt Gespräche face-to-face blieben nur das eher unpersönliche Telefonat oder langwierige Videokonferenzen. Keine einfache Situation, wie etwa die Westfalen-Post transparent berichtete. Dennoch digitalisierten sich die Medienhäuser schnell und arbeiteten unter den neuen Gegebenheiten – notgedrungen.
Datenjournalismus gefragter denn je - auch lokal
Doch das Corona-Jahr war für die Berichterstatter:innen nicht nur deswegen schwierig. Mit dem Virus kam eine große Unbekannte, die Journalist:innen mithilfe von Expert:innen erst einmal verstehen und dann vermitteln mussten, gefolgt von vielen (politischen) Maßnahmen, die sie einzuordnen hatten. Die meisten Medien entwickelten beeindruckend schnell datenjournalistische Projekte, die Zahlen und Diagramme zum Infektionsgeschehen darstellten. DIE ZEIT bündelte ihre datenbasierte Berichterstattung, gibt nicht nur Hinweise zur aktuellen Impfsituation, sondern auch zu allgemeinen Fakten. Diese journalistische Leistung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Big Player der Branche wie eben die ZEIT oder der SPIEGEL, die über viele Ressourcen verfügen. Auch Lokalmedien arbeiten datenjournalistisch. So hat sich etwa das Bürgerportal Bergisch Gladbach intensiv mit dem Covid-19-Virus auf lokaler Ebene auseinandergesetzt. Aktuelle Zahlen und auch Hintergründe liefert die Plattform und wurde dafür mit dem Sonderpreis für lokale verlagsunabhängige Corona-Berichterstattung des JournalismusLab der Medienanstalt in Nordrhein-Westfalen prämiert.
Journalist:innen müssen Lösungen bieten
Es mangelte dem Journalismus in diesem Jahr aber an kritischer Auseinandersetzung und an (alternativen) Lösungsvorschlägen. Im SWR-Interview spricht Journalismus-Forscher Prof. Dr. Klaus Meier von drei Aufgaben des Journalismus: die Information, die Kritik bzw. Kontrolle der Mächtigen und die Darstellung von Lösungen. Die Informationsdichte der Medien war laut Meier gut, die Kritik und auch die Suche nach Lösungen dagegen nicht. TV-Sondersendungen konzentrierten sich zu sehr auf die Maßnahmen der Politiker:innen, ohne stark genug nachzuhaken und boten wenig Lösungen an, obwohl es gerade im Sommer einige gegeben hat wie etwa eine Software für Gesundheitsämter oder Luftfilter für Schulen. Trotzdem haben sich diese Maßnahmen in der Politik nicht durchgesetzt. Stattdessen kam der Lockdown. Waren die Journalist:innen nicht hartnäckig genug? Der Journalismus-Forscher geht noch weiter. Er bemängelt: Die Politiker:innen kommen eher in den Nachrichten vor, wenn sie scharfe Maßnahmen fordern. Der befehlende, autoritäre Staat wirke in der Wahrnehmung daher stärker als der fürsorgliche, konstruktive Staat. Das sei nicht optimal.
Dass Journalist:innen für ihre Berichte Expert:innen befragen (müssen), ist Usus – so entstand auch das Coronavirus-Update des NDR mit dem Virologen Christian Drosten. Ein informatives Audio-Format, das über die Pandemie und auch Maßnahmen aufklärt. Doch warum verkündete monatelang immer derselbe Virologe in diesem festen Format seine Ansichten und wurde erst im Herbst mit der Virologin Sandra Ciesek um eine zweite Stimme ergänzt? Und warum wandern die Informationen aus dem Podcast nahezu unreflektiert in andere Medien? Auch daran zeigt sich, dass es an Debatte und an Lösungen mangelt. Dabei sei es doch die „Aufgabe des Journalismus, nach anderen Ansichten zu suchen, gerade auch, wenn sie mal nicht auf dem Silbertablett von in Berlin ansässigen Lobbyisten angereicht werden“, schreibt der Medienjournalist Timo Rieg bei Telepolis.
Kontroverse Diskussionen nötig
Es sei auch nicht die Aufgabe des Journalismus, den verlängerten Arm der Regierung zu spielen, kommentiert Andrej Reisin bei Übermedien. Es mangelt der Berichterstattung in 2020 an kontroversen Diskussionen und an Lösungen. Südkorea etwa konnte den Covid-19-Virus im Frühjahr erfolgreich bekämpfen – durch Massentests, Social Distancing und radikaler Transparenz via App, die den Aufenthaltsstatus aufzeichnet. Natürlich sind diese Maßnahmen mit dem deutschen Datenschutz nicht vereinbar. Doch „wäre eine Suspendierung des beinahe heiligen deutschen Datenschutzes nicht angebrachter, bevor man eine Ausgangssperre verhängt, fragt Reisin. Es gebe sicherlich ein Für und Wider in diesen Debatten, aber Medien müssen diese beiden Seiten zumindest abbilden. Diskussionen sind immanent für Entscheidungsfindungen und Meinungsbildung.
Passend dazu schreiben Prof. Dr. Klaus Meier und Prof. Dr. Vinzenz Wyss in Meedia:
„Ein öffentlicher Streit um des intensiven Austauschs von Argumenten willen gehört zur Demokratie wie Wasser zum Leben.“
Und die Wahrung der Demokratie ist auch eine Aufgabe des Journalismus.