Exklusiv-Interview

Christopher Buschow, brauchen wir ein Spotify für Journalismus?

Artikelbild: Christopher Buschow, brauchen wir ein Spotify für Journalismus?
© Matthias Eckert

Medienwissenschaftler Jun.-Prof. Dr. Christopher Buschow sieht wenig Innovatives in der Presseförderung. Warum Geld alleine nichts bewirkt, sagt er uns im Interview.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt mit der Presseförderung eine Regierung privaten Medienhäusern Geld. Was halten Sie von der Maßnahme?

Christopher Buschow: Vor allem die Finanzierung durch Anzeigen ist in der Coronakrise sehr stark unter Druck geraten. Es ist also durchaus sinnvoll, dass die öffentliche Hand sich jetzt engagiert. Es wäre auch schon vorher sinnvoll gewesen, denn Innovationen können ein Weg sein, um den Journalismus in eine erfolgreiche Zukunft zu tragen. Dass auch Deutschland nun eine solche Unterstützungsstruktur schafft, war überfällig. In anderen europäischen Ländern ist das schon seit Jahren der Fall.

Laut Förderkonzept sollen Verlage bei dem Weg in die digitale Transformation unterstützt werden. Glauben Sie, dass eine Geldgabe von 200 Millionen Euro Innovation stiften kann?

Buschow: Der Stand der Innovationsforschung sagt uns: Geld alleine ist nicht ausreichend. Man muss finanzielle Mittel auch mit Coachings, Trainings und Weiterbildungsmaßnahmen kombinieren. Nur Geld ins System zu schütten, löst nicht die grundlegenden Probleme der Innovationsfähigkeit des Systems.

Für Ihr Gutachten "Die Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland" haben Sie geforscht, wie groß der Bedarf an Innovationen ist. Sie sagen bereits, die Presseförderung wird nicht ausreichen. Wo sollte der Staat nachliefern?

Buschow: Eine systematische Innovationspolitik für den Journalismus in Deutschland fußt auf drei Säulen. Der erste Bereich ist die Finanzierung. Mein Co-Autor Christian Wellbrock und ich plädieren für eine temporäre Anschubfinanzierung, die Innovationsprojekte solange unterstützt, bis sie bestenfalls auf eigenen Beinen stehen können. Im Umkehrschluss heißt das, dass es nicht darum gehen kann, die journalistischen Akteure dauerhaft an den Tropf des Staates zu hängen. Wichtig ist auch, keine Gießkannen-Förderung zu betreiben, so wie das nun im Programm des Bundeswirtschaftsministeriums der Fall zu sein scheint. Der zweite Punkt ist der Bereich der Aus- und Weiterbildung. Sowohl potenzielle Gründerinnen und Gründer aber auch etablierte Medienhäuser müssen erst einmal sensibilisiert und befähigt werden, Innovationen anzustoßen. Die Innovationsforschung hat außerdem gezeigt, dass Geld und Fortbildung kombiniert werden sollten. Das ist heute teilweise schon der Fall, zum Beispiel beim Journalismus Lab in Nordrhein-Westfalen oder beim Media Lab Bayern. Der dritte Punkt sind Kooperationen und Netzwerke. Traditionell gibt es in Deutschland kaum Zusammenarbeit, weder im Journalismus, noch im Verlagsbereich. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch förderlich für die publizistische Vielfalt. Aber kann unser heutiges Mediensystem noch so stark auf Wettbewerb setzen? Da bin ich skeptisch. Wir raten den Akteuren, stärker in die Kooperation zu gehen. Medienhäuser sollten aber auch mit sekundären Akteuren der Innovation kooperieren wie Universitäten, Technologieunternehmen oder Finanzgebern.

Nicht nur der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) weist daraufhin, dass in Deutschland immer noch viele Menschen eine gedruckte Zeitung lesen. Sollten die Verlage auch in der Zustellung unterstützt werden? Oder befinden sie sich bereits auf einem sinkenden Schiff, sodass das Geld besser in die Innovationsförderung fließen sollte?

Buschow: Wichtig ist, dass der Staat sich überlegt, was er mit einer Förderlinie erreichen möchte, was das strategische Ziel ist. Ist es die Innovationsförderung oder ist es die Bewahrung der bestehenden Strukturen? Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man eine Initiative konzipiert. Ich denke, mit der Innovationsförderung, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, haben wir in gewisser Weise eine versteckte Subvention der etablierten Verlage. Auch hier wird mit der Gießkanne gefördert. Die Verlage werden sich alles Mögliche als Innovation fördern lassen können, denn die Kriterien für zu unterstützende Innovationen, sind im bekannten Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums äußerst breit. Im Grunde genommen haben wir damit eine versteckte Subvention, wie sie die Verlage auch gefordert hatten, nur sozusagen durch die Hintertür und unter einem „Innovations-Label“.

Sie sehen also nichts Innovatives in der Förderung?

Buschow: Wenn man Innovationen fördern will, dann sollte man nach den besten Ideen suchen, die den Journalismus in die Zukunft tragen können. Das bedeutet aber auch, selektiv und wettbewerblich zu fördern, respektive einzelne Projekte auch nicht zu fördern. Es braucht Verfahrensweisen, wie sich die vielversprechendsten Ideen identifizieren lassen und wie sie am besten unterstützt werden, damit sie nach einer Anschubfinanzierung auf eigenen Beinen stehen können. All das ist in dem jetzt vorliegenden Förderkonzept nicht erkennbar.

Brauchen große Verlage überhaupt eine Förderung, wie sie jetzt vorliegt?

Buschow: Auf dem Tisch liegt eine Förderung für die etablierten Häuser. Das ist der nächste Grund, warum das Ganze nicht als systematisch gestaltete Innovationsförderung gelten kann: Es werden entscheidende Akteure der Innovation ausgeschlossen. Deshalb ist völlig verständlich, dass sich die Digital-Publisher und die Akteure aus dem gemeinnützigen Journalismus jeweils in offenen Briefen dagegengestellt haben. In allen anderen europäischen Ländern, wo es solche Innovationsförderung für den Journalismus gibt – sei es Dänemark, die Niederlande oder Österreichs Hauptstadt Wien – werden Neugründungen gefördert. Das ist ein weiteres Indiz für mich, dass man es mit der Innovationsförderung nicht so ernst gemeint hat. Ob große Verlage dieses Geld überhaupt brauchen, ist schwer zu beurteilen, da es an Transparenz mangelt. Es ist ausgesprochen schwierig, die Finanzlage der Verlage seriös zu bewerten.

Die Fördermittel sollen in die Infrastruktur der Verlage fließen. Wie kann das den Journalismus innovativer machen?

Buschow: Unser Gutachten unterstreicht, dass viele Innovationsaktivitäten der etablierten Verlage im Digitalen kerngeschäftsfremd ausfallen. Diese Aktivitäten finden vorrangig nicht im Journalismus statt, sondern sind stärker auf E-Commerce, Rubrikenmärkte oder andere digitale Aktivitäten ausgerichtet. Anders als in der klassischen Tageszeitung ist ein digitaler Rubrikenmarkt nicht mehr auf digitalen Journalismus angewiesen, um Nutzer:innen zu erreichen; diese Modelle sind entkoppelt. Soll heißen, wer Rubrikenmärkte betreibt, muss nicht mehr notwendigerweise Journalismus produzieren, sondern entwickelt sich vielleicht sogar aus diesem Bereich heraus. Noch dazu sind in vielen Verlagen Kostenkürzungen und Stellenabbau erkennbar, die durch die Coronakrise nochmals verstärkt werden. Das ist natürlich das Gegenteil von Innovation, die man sich für den Journalismus erhofft.

In Ihrem parallel erschienenen Band „Money for nothing, content for free?“ schlagen Ihr Kollege Christian Wellbrock und Sie ein „Spotify für Journalismus“ vor. Wie könnte das aussehen?

Buschow: Ein Modell könnte zum Beispiel sein, dass sich lokale Verlage zusammenschließen und eine Plattform schaffen, auf der ihre lokalen Inhalte verfügbar sind. Da sie lokale Anbieter sind, würden sie kaum gegenseitige Konkurrenz sein. Etwas anders ist das bei überregionalen Qualitätsmedien. Da gibt es starke ökonomische Gründe, warum ein Zusammenschluss auf einer publizistischen Plattform schwieriger sein dürfte. Treiben die Verlage ein Plattformmodell jedoch nicht voran, so besteht die Gefahr, dass es – wie auch in angrenzende Medienmärkten – andere auf den Weg bringen, nämlich die globalen Tech-Player. Am Ende bedeutet das für die Verlage, dass sie sich nur auf die Spielregeln einlassen können, die ihnen von diesen Unternehmen diktiert werden.

Hat der Staat die Möglichkeit, so eine Plattform auf den Weg zu bringen?

Buschow: Das ist ja die Idee von Martin Rabanus, Medienpolitiker der SPD. Ein Szenario, das auch mein Kollege Christian Wellbrock vorschlägt, könnte eine öffentlich-rechtliche Plattform sein. Wer sie organisiert, wer sie auf den Weg bringt, wie ihre Governance operativ ausgestaltet sein wird, das sind offene Fragen. Auf jeden Fall dürfte es der Staat nicht direkt machen, denn das wäre aus meiner Sicht ein erheblicher Eingriff in die Medienfreiheit. Der Staat könnte aber Mittel zur Verfügung stellen und Kooperationen fördern. Es bleibt dennoch die Frage, ob der Staat ein Modell herauspicken sollte, das er dann priorisiert finanziell unterstützt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf diesen „One Shot“ setzen können oder ob wir doch eher „die Schrotflinte“ brauchen – also im Sinne von verschiedenen Ansätzen, verschiedenen Innovationsbereichen. Wenn wir über ein „Spotify für Journalismus“ sprechen, sprechen wir nur über die Ebene der Distribution des Journalismus, über seine Darreichungsform. Wir reden nicht über weitere Innovationsfelder, wie die Organisation, wie das redaktionelle Arbeiten in der journalistischen Zusammenarbeit künftig aussehen kann, wir reden nicht über Erlösmodelle und Finanzierungsform, über Genres, neue Formate und Produkte. Durch die Fokussierung auf ein Modell könnte andere, ebenso nötige Innovation im Journalismus aus dem Blick geraten. Diese Gefahr sehe ich.

Das Interview führte Anja Kollruß.