Meinung
Google und Jens Spahn - eine fragwürdige Zusammenarbeit
Das Info-Portal des Bundesgesundheitsministeriums "gesund.bund.de" sorgt für Schlagzeilen. Minister Spahn lässt die Inhalte von Google automatisch hochranken - und gefährdet damit die Pressefreiheit.
Ein Bundesminister bringt online ein eigenes Staatsmedium heraus, stellt sich dazu in Konkurrenz mit privatwirtschaftlich agierenden Verlagen, merkt, dass der Kampf um Klickzahlen im Netz schwierig ist, kooperiert daher mit der größten Suchmaschine der Welt, nämlich Google, um seine Inhalte ganz nach vorne zu bringen und hebelt damit den normalen Wettbewerb aus. Klingt verrückt, oder? Ist aber wohl so passiert und markiert damit einen direkten Angriff des Bundes auf unabhängigen Journalismus. Bei dieser Zusammenarbeit bleiben aber noch mehr Fragen offen, die vor allem eins benötigen: nachfragen und investigative Recherche!
Was ist passiert? Seit dem 1. September 2020 gibt das Bundesgesundheitsministerium auf gesund.bund.de Hinweise zu Krankheiten, Symptomen, möglichen Behandlungen und auch Pflege. Durch Corona würden viele Fake-News im Netz kursieren, dass sein Ministerium jetzt dagegen halten will - mit verifizierten Inhalten, auch bei anderen Erkrankungen, so der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Herbst. So weit, so löblich. Im November 2020 verkündet er dann - auf einer Bühne mit Google, dass er nun mit dem Internetriesen kooperiere. Der Content von gesund.bund.de hat seitdem Vorrang vor allen anderen (privaten) Anbietern, weil Google die Inhalte als sogenannte Knowledge Panels, also Wissenskarten, bei Suchanfragen ganz nach oben hievt - automatisch, durch seinen Algorithmus ermöglicht. Dass Google nur an ein paar Schrauben drehen muss, um Suchergebnisse zu manipulieren, erschreckt dabei mittlerweile die wenigsten. Das Katastrophale an dieser Kooperation ist aber noch etwas anderes.
Kooperation setzt Wettbewerb außer Kraft
Philipp Welte, der Vorstand des Hubert-Burda-Verlags, sagt: "Diese Mesalliance zwischen der Regierung und dem Monopolisten Google ist fatal, weil sie den freien Wettbewerb außer Kraft setzt und Hand anlegt an ein zentrales demokratisches Prinzip unseres politischen Systems.“ Er sieht die Pressefreiheit als solches in Gefahr und hat damit recht. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) ist ebenfalls in Alarmstellung, weil staatliche Medien in freiheitlichen Demokratien verboten sind: "Deshalb untersagt es auch das Grundgesetz der Bundesregierung, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunksender oder entsprechende digitale Medien zu betreiben, zu besitzen oder zu kontrollieren. Zulässig ist allein die Öffentlichkeitsinformation über Regierungshandeln, keinesfalls aber eine vollwertige redaktionelle Berichterstattung.” Das Bundesgesundheitsministerium weist den Vorwurf zurück, dass es sich bei den Inhalten um “journalistisch aufbereitete Beiträge” handele. Der privatwirtschaftliche Pressemarkt sei nicht berührt. Unklar ist allerdings, nach welchen Maßstäben das Ministerium dies beurteilt. Denn für die Inhalte ist eigens eine Content-Redaktion beauftragt worden, die mit Informationen beispielsweise des Robert-Koch-Instituts die Artikel erstellt. Das Portal gesund.bund.de kann also durchaus als redaktionelle Berichterstattung gewertet werden, wenngleich das Ministerium die Redakteur:innen nicht selbst angestellt hat.
Gericht kippt Zusammenarbeit wegen Kartellverstoß
Und darum hat der Burda-Verlag, der ein ähnliches Portal mit den Namen Netdoktor betreibt, vor dem Landgericht München geklagt - und jüngst Recht bekommen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Google könne zu einer „Verdrängung der seriösen privaten Gesundheitsportale“ führen, lautet die Begründung der Vorsitzenden Richterin Gesa Lutz, es drohe eine „Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt“ in Deutschland. Insgesamt verstoße der Deal gegen das Kartellrecht. Der Betrieb des Gesundheitsportals durch das Ministerium sei keine rein hoheitliche Tätigkeit, erklärte Richterin Lutz, „sondern eine wirtschaftliche, die anhand des Kartellrechts zu prüfen ist“. Die Vereinbarung bewirke „eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale“. Die dadurch erfolgte Verringerung des Nutzeraufkommens bei Netdoktor wiederum führe „potenziell auch zu einem Verlust von Werbeeinnahmen“. Etwaige Vorteile der Zusammenarbeit würden die Nachteile nicht aufwiegen, so die Richterin.
Ein Sieg für die freie Presse? Ja, aber es ist schon fast eine historische Frage, wie der Jurist Dr. Christoph Fiedler vom VDZ kommentiert, “ob Digitalmonopole gezwungen werden, diskriminierungsfrei zu arbeiten - oder ob sie willkürlich entscheiden dürfen, welcher Informationsanbieter wie vorkommt”. Diese Fragen sind tatsächlich zentral. Denn in diesem Fall hat Google gezeigt, dass der Online-Mogul mehr oder weniger willkürlich entscheiden kann, welche Inhalte ganz oben auftauchen. Das Ranking richtet sich also nicht unbedingt nach validen Klickzahlen. Dieser Fakt gefährdet die Überlebenschancen der freien Presse und kann sie im schlimmsten Fall ins Aus befördern.
Wirtschaftlichkeit von unabhängigem Journalismus gefährdet
Das gilt natürlich nicht nur für gesundheitsjournalistische Redaktionen. Denn unklar ist derzeit, welche Absprachen oder gar Verträge es zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und Google gegeben hat. Die Ärzte-Zeitung schreibt dazu: “Weder liege eine mündliche oder schriftliche Vereinbarung des BMG mit Google zugrunde, noch gebe es eine vertragliche Beziehung, erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP im Bundestag hin, die der Ärzte Zeitung vorliegt. Auch erhalte das Unternehmen keinerlei Zahlungen für die Hervorhebung der Informationen aus dem Gesundheitsportal.” Das heißt, dass Google durchaus bei anderen Ministerien oder Staatsorganen anklopfen könnte, um deren Inhalte zu verbreiten. Haben die Verantwortlichen dort dann ein ähnlich fragwürdiges Verständnis von Pressefreiheit, könnten diese Kooperationen Schule machen und die nötige Wirtschaftlichkeit von unabhängigem Journalismus erschweren.
Die Rolle von Google - vier Denkanstöße
Eine wichtige Frage bleibt am Ende - auch wenn das Landgericht erst einmal Einhalt geboten hat: Warum geht der Bundesgesundheitsminister diesen Weg und lässt das Portal gesund.bund.de in diesem Jahr mit 4,5 Millionen Euro und im nächsten Jahr mit fünf Millionen Euro von den Steuerzahler:innen bezahlen, um die Inhalte dann über Google nach oben zu ranken? Diese Frage lässt sich auf den ersten Blick nicht beantworten. Doch warum Google einen Vorteil aus der Kooperation ziehen könnte, zeigen vier abschließende Denkanstöße:
Google hat als globale Datenkrake nicht den besten Ruf. Diesen könnte das Unternehmen nun durch die Kooperation und die damit einhergehende Bekämpfung von Fake-News aufpolieren wollen. Die Politik wäre hier dann das Mittel zum Zweck.
Nutzt Google die werbewirksame Zusammenarbeit vielleicht, weil bald ein neues Produkt gelauncht wird? Planungen dazu sind nicht bekannt, ein Vorbote könnte die Geschichte mit dem Bundesgesundheitsministerium aber sein.
Google ist und bleibt eine Datensammlung. Mehr als die Hälfte der Menschen googeln vor dem Arztbesuch Symptome und verraten der Suchmaschine damit etwas über sich. Genau diese Daten sind für das Unternehmen überaus wertvoll, denn so kann der Online-Riese gezielter Werbung schalten bzw. Anzeigen verkaufen und Geld verdienen. Mit dem Portal des Bundes wird eine Seriosität vorgegeben, die mehr Nutzer:innen klicken lassen - ein Vorteil für Google. Je mehr Klicks, desto mehr Daten.
Das Portal gesund.bund.de gibt Antworten auf Gesundheitsfragen, soll aber in Zukunft auch den Weg zur elektronischen Patientenakte ebnen. Wenn Google sich schon beim Content engagiert, welche Rolle spielt das Unternehmen dann bei den Digitalisierungsplänen des Ministeriums? Könnte es also sein, dass Google Suchanfragen von Nutzer:innen sammelt, die dann in die Patientenakte wandern und damit direkt zu den Krankenkassen?
Diese Fragen zeigen, dass es bei dem Streitfall zwischen Burda, Bund und Google um mehr geht als um Journalismus. Und genau hier sind sie dann auch wieder mehr als nötig, die unabhängig recherchierenden Investigativ-Journalist:innen!
Update, 19.02.2021: Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bestätigt Urteil
Die Kritik an der Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsministerium und Google bekommt Nachdruck: Wie die Bild berichtet, verstößt das Gesundheitsportal "gesund.bund.de" gegen die Pressefreiheit: "Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die Kooperation mit Google würde ,faktisch zu einer Monopolstellung eines solchen Portals führen', heißt es in der 29-seitigen Bewertung", die Bild vorliegt. Damit bestätigt die Kommission die Entscheidung des Landgerichts München.