Exklusiv-Interview
Martin Rabanus, nützt die Presseförderung nur großen Verlagen?
Bislang steht nur die Summe fest: 200 Millionen Euro will die Politik ausgeben. Martin Rabanus, medienpolitischer Sprecher der SPD, erklärt im Interview mit White Lab, wie Verlage profitieren sollen.
Im November 2019 hatte der Bundestag beschlossen, die Zustellung gedruckter Abo-Zeitungen und Anzeigenblätter für fünf Jahren mit je 40 Millionen Euro zu fördern. Im Sommer 2020 wurde aus den Plänen – für viele überraschend – eine Presseförderung in Höhe von 200 Millionen Euro, die vor allem die Digitalisierung der Verlage vorantreiben soll. Wie kam es zum Umschwung?
Martin Rabanus: Der Beschluss beinhaltete nur 40 Millionen Euro an Zustellförderung. Die Verlage, insbesondere die Zeitungsverlage, haben uns sehr deutlich und sehr laut mitgeteilt – ich gebe das einmal in meinen Worten wieder – dass das zu wenig wäre und dass man es dann auch sein lassen könne. Wir haben entschieden, dass ein Modell, das von denjenigen, die es begünstigt, abgelehnt wird, keinen Sinn macht. Mit dem neuen Konzept möchten wir die digitale Transformation der Verlage vorantreiben und haben die Förderung aufgestockt. Wir glauben, dass dies mehr Akzeptanz bei den Verlagen findet.
Ist die Zustellförderung gedruckter Zeitungen, wie ursprünglich geplant, mit der neuen Presseförderung nun vom Tisch?
Rabanus: Ja, die Reaktion der Branche darauf war so eindeutig, dass wir gesagt haben, wenn man es nicht will, dann lassen wir es und machen etwas anderes.
Also sind Sie von einer Subvention auf eine Innovationsförderung umgestiegen?
Rabanus: Das ist die Idee, wobei der Aspekt der Subventionen natürlich eine Rolle spielt. Bei der Ausarbeitung des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums ist das Momentum „Auflage im Printbereich“ immer noch eine wesentliche Stellgröße für das, was die Verlage bekommen können. Aber es ist eben schon in die Zukunft, in die Innovationsförderung gerichtet.
In einem ersten, vierseitigen Förderkonzept des Wirtschaftsministeriums wird als „neutraler Verteilungsmaßstab“ die Reichweite bzw. Auflage der Zeitungen genannt. Diese Stellgröße, also die Kopplung der Förderung an Auflagen, stößt auf heftige Kritik. Bleibt es bei dieser Verteilung?
Rabanus: Im Moment ändert das Wirtschaftsministerium daran nichts. Ich habe es meinerseits kritisch hinterfragt, weil das Gesamtsystem darauf angelegt ist, dass die großen Verlage das Geld abgreifen können, die kleineren eher weniger. Das ist ein echtes Problem, welches allerdings derzeit nicht zu lösen ist, solange das Ministerium die Förderung so umsetzt. Wir werden beobachten, wie die Mittel abfließen und ob sie so eingesetzt werden, wie wir das wollen. Gegebenenfalls muss dann nachgesteuert werden. Aber klar ist, es ist eine Hilfe für Verlage, die aus dem analogen in den digitalen Raum wechseln müssen, weil es die Zukunft ist.
Kritisiert wird, dass die Förderung Online-Medien und -Plattformen nicht hilft. Warum?
Rabanus: Es ist keine Förderung für wirklich innovative und rein digitale Projekte. Das ist eine Kritik, die auch zurecht formuliert wird, aber es ist nicht die Grundidee des Programms. Für die Förderung digitaler Medien bräuchte es ein anderes Programm.
Also unabhängige, digitale Medien finden keine Erwähnung in dem Förderungskonzept. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sollen auch nur Verlage und Verlegerverbände gefördert werden?
Rabanus: Das ist das Modell, das das Wirtschaftsministerium erarbeitet hat. Ich muss das betonen, weil wir es bei Parlament und Regierung mit zwei unterschiedlichen Verfassungsorganen zu tun haben. Wir als Parlament haben gesagt, wir wollen eine Innovationsförderung für diejenigen, die im Moment noch in der analogen Welt sind. Das setzt das Ministerium jetzt sehr stark und sehr starr um. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich von den 200 Millionen 10 bis 20 Prozent genommen und sie in rein digitale Unternehmen und Organisationen gesteckt. Aber es liegt nicht mehr in der Macht des Parlaments, sondern wird von der Regierung umgesetzt. Ich bedauere das. Ich hätte einen anderen Schwerpunkt gelegt.
Wird das Konzept derzeit noch überarbeitet oder direkt auf den Weg gebracht und man schaut, was man im Nachhinein noch verbessern muss, also sozusagen „ongoing“?
Rabanus: Das ist die Linie des Ministeriums. Der Stand ist meines Wissens so, dass aus diesem Konzeptpapier jetzt eine Förderrichtlinie geschrieben wurde. Und diese Förderrichtlinie jetzt wiederum beim Bundesrechnungshof liegt, der solche Sachen frei geben muss. Im ersten Quartal 2021 sollen dann hoffentlich Beantragungen möglich sein.
Bislang steht also nur die Fördersumme von 200 Millionen Euro fest, die der Bundestag am 11. Dezember mit der Verabschiedung des Etats für 2021 beschlossen hat?
Rabanus: Richtig.
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) führt u.a. Studien an, die zeigen, dass knapp 60 Millionen Deutsche regelmäßig eine gedruckte Zeitung lesen. Dennoch gilt das klassische Printprodukt bei vielen als veraltet. Möchte die Politik mit dem neuen Presseförderungsgesetz deutlich machen, nicht in die Vergangenheit zu investieren? Steckt ein politisches Signal dahinter?
Rabanus: Ja, ein Signal steckt in der Tat dahinter. Ich persönlich bin bedauerlicherweise davon überzeugt, dass die Verlage vieles verschlafen haben. Vor Kurzem hatte ich mit einer nicht ganz kleinen lokalen Zeitung ein Zoom-Meeting. Die Redakteurin hat tatsächlich eingestanden, dass es ihr erstes Zoom-Meeting sei – nach zehn Monaten Pandemie ist das komisch – und sie hat mich nicht gefragt, ob wir das Gespräch aufzeichnen können, sondern hat ihre Kamera geholt und ein Foto gemacht. Das karikiert natürlich ein bisschen das Problem. Seit mindestens zehn Jahren ist klar, dass die gedruckte Zeitung zwar nicht ihre Existenzberechtigung verliert, aber sicherlich nicht mehr die wesentliche wirtschaftliche Säule im Zeitungsvertrieb sein wird, weil die dortigen Anzeigen ihre Bedeutung verloren haben. Früher musste man fast darum bitten, im Anzeigenteil der FAZ inserieren zu dürfen. Das ist Geschichte, und vor diesem Hintergrund müssen sich die Verlage neue Geschäftsmodelle überlegen.
Mittelständische Verlage haben vielleicht nicht die finanziellen Mittel und demnach Nachholbedarf. Wie sieht es aber mit den großen Medienhäusern aus? Laut erstem Förderungskonzept ist kein Verlag ausgeschlossen, sondern kann – wie bereits erwähnt – entsprechend seiner Auflagen Fördersummen geltend machen. Das klingt nach „Wer hat, der bekommt.“
Rabanus: Richtig, niemand ist ausgeschlossen. Die großen Verlage werden sicherlich keine Probleme haben, diese Fördermittel abzugreifen. Berechtigterweise kann man an dieser Stelle nachfragen: Brauchen sie das Geld für eine digitale Transformation oder schaffen sie es auch ohne? Man kommt leider ganz schwer ins kurze Gras, was die förderrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragestellungen angeht, wenn bestimmte Akteure ausgeschlossen werden. So lautet zumindest die Begründung des Wirtschaftsministeriums, und das kann ich auch verstehen. Ich glaube aber, dass man gerade bei den kleineren Verlagen die Förderquote erhöhen muss. Darum habe ich das Ministerium auch noch einmal gebeten. Im Moment ist im Papier angelegt, dass 45 Prozent der anfallenden Kosten durch das Förderprogramm übernommen werden können, sprich, 55 Prozent müssen als Eigenmittel eingebracht werden. Das können die Großen natürlich viel eher, als die Kleinen. Bei den kleineren Verlagen müsste man also schauen, dass man auf eine höhere Förderquote von beispielsweise 65 oder 75 Prozent kommt.
Warum können große Verlage von der Förderung nicht ausgeschlossen werden? Haben hier Lobby-Verbände eingewirkt?
Rabanus: Nein, der Grund ist ein anderer: Es geht an der Stelle um Wettbewerbsrecht. Das Instrument, das mit der Presseförderung gewählt worden ist, ist ein Instrument der Wirtschaftsförderung. Damit muss grundsätzlich gleicher Zugang für alle Marktteilnehmer gewährleistet sein. Man kann an bestimmten Stellen aber mit einer sauberen Argumentation Privilegierung einbauen wie etwa die mit den erhöhten Förderquoten für die Kleineren. Ich habe das Wirtschaftsministerium gebeten, dies noch einmal zu prüfen.
Vieles scheint also noch nicht geklärt. Wie sieht es mit der Überprüfbarkeit aus? Wie wird kontrolliert, dass die Verlage die Mittel von den Verlagen entsprechend einsetzen? Die Zeitungshäuser werden ja sicherlich nicht so einfach ihre Finanzen offenlegen.
Rabanus: Die Beantragung muss enthalten, wofür das Geld ausgegeben werden soll und was es insgesamt kostet. Davon lässt sich dann ableiten, wie hoch der Förderbetrag sein kann. Nach meiner Kenntnis wird es keine „Positivliste“ geben, die abschließend regelt, wofür das Geld ausgegeben werden kann. Stattdessen wird es eine exemplarische Liste geben.
Was an vielen Stellen rauszuhören ist: Sie hätten es gerne anders gemacht. In Interviews sprechen Sie auch von einem „Spotify für Journalismus“, eine Art Plattform für mehrere journalistische Angebote. Wie stellen Sie sich so eine Plattform vor? Ist das realistisch?
Rabanus: Wie realistisch das am Ende des Tages ist, weiß ich im Moment nicht. Aber ich glaube, dass es vernünftig wäre, eine gemeinsame Plattform zu haben. Ich nenne es inzwischen nicht mehr Spotify, weil mir alle sagen, ich will den Journalismus kaputt machen, weil Spotify die Musikindustrie kaputt macht. Das möchte ich natürlich nicht. Die Idee ist im Grunde, ein digitales Presse-Grosso aufzubauen. Derzeit haben wir mit dem Presse-Grossisten ein System, das sicherstellt, dass die Print-Exemplare von Tageszeitungen, Zeitschriften usw. überall und zu gleichen Bedingungen verfügbar sind. Dabei ist es relativ egal, ob ich an den Kiosk in Berlin-Friedrichshain gehe oder zum Tante-Emma-Laden irgendwo im Taunus, da es eine Versorgungs-Logistik gibt. Diese Grossisten sind quasi Monopolisten für die Verteilung von Print-Erzeugnissen in ihrer Region. Jeder Titel, der gelistet ist, ist auch grundsätzlich über sie zu erhalten. In der digitalen Welt gibt es nichts Entsprechendes. Ich kriege das, was Google mir als erstes ausspuckt und das ist im Zweifel, wofür am meisten Werbung bezahlt worden ist. Ich habe es ungleich schwerer, auf eine Logistik zuzugreifen, die mir freien Zugang zu unterschiedlichen journalistischen Produkten ermöglicht. Jeder Verlag, der dies einzeln anbietet, hat vermutlich auch seine eigene Bezahlschranke und App. Ich stoße also auf eine Überkomplexität, mit der ich nicht umgehen kann und die auch nicht wirklich funktioniert. Die Idee einer gemeinsamen Plattform ist natürlich, ich bezahle dafür einmal und habe die Sicherheit, dort journalistische Qualitätsprodukte in unterschiedlichen Genres zu finden. Solche Systeme sind technisch relativ einfach umsetzbar, sodass man auch zu einer vernünftigen Aufteilung der Erträge kommt. Der große Vorteil wäre, wir könnten als öffentliche Hand ein solches System finanziell unterstützen, bis es auf eigenen Beinen steht, ohne dass wir in den Verdacht kommen, in die journalistischen Inhalte einzugreifen. Es wäre eine reine Infrastruktur-Förderung, auf der dann der Wettbewerb journalistischer Inhalte stattfinden kann. So könnte eine vernünftige und zeitgemäße Distributionsstruktur in der digitalen Welt aussehen.
Wie ist die Reaktion auf diesen Vorschlag?
Rabanus: Das stößt auf viel Widerstand. Viele sagen, das rechnet sich nicht. Also wenn man glaubt, man kann für 9,99 Euro im Monat auf alle Zeitungen Deutschlands zugreifen kann, dann trägt sich das wirtschaftlich natürlich nicht. Viele große Verlage sagen außerdem: Ich bin groß genug, ich habe 200 oder 250 Titel auf meiner eigenen Plattform, ich kriege das alleine hin. Das sind zwei der zentralen Widerstände. Ich werde aber munter weiter dafür werben, weil ich glaube, es ist strukturell das Richtige.
Noch ist die Presseförderung nicht umgesetzt, dennoch gibt es viele Kritiker:innen. Auch Sie scheinen schon jetzt bei einigen Punkten Nachholbedarf zu sehen. Bleibt eine Frage: Ist die Presseförderung für den Journalismus in Deutschland ein Segen?
Rabanus: Ja, ich glaube schon, aber es ist mit Sicherheit keine große Innovation. Am Ende des Tages ist es eine finanzielle Unterstützung für Verlage, die es nicht ganz einfach haben in dieser Zeit. Diese Mittel kann man vernünftig einsetzen, sie können ertragreich sein, aber sie werden ganz sicher nicht alleine dafür sorgen, dass die Verlage sorgenlos ihre Produkte, insbesondere ihre Print-Produkte, weiterproduzieren können.
Das Interview führte Anja Kollruß.