Exklusiv-Interview

Simon Graff, leben wir schon im Metaverse?

Artikelbild: Simon Graff, leben wir schon im Metaverse?
© Julien Tromeur (Unsplash)

Das Metaverse ist nicht gleich Meta. Es ist mehr als Mark Zuckerbergs neuestes Projekt. Es ist die Weiterentwicklung des Internets. Experte Simon Graff erklärt, wie es unser Leben verändern wird.

Mark Zuckerberg hat uns seine Version vom Metaverse gezeigt, die eine Virtualisierung unserer Lebensbereiche präsentiert. Wie nah oder fern befinden wir uns aktuell von dieser Version?

Simon Graff: Wir leben definitiv schon in einer virtuellen Welt. Nehmen wir als Beispiel Instagram. Auf der Plattform sind eine Milliarde Nutzer:innen aktiv. Authentizität ist dabei ein viel gehandeltes Schlagwort, aber die meisten Menschen geben dort eher ein idealisiertes Bild von sich bzw. eine virtualisierte Version ihrer selbst ab. Instagram könnte somit bereits als virtuelle Welt gewertet werden. Das Internet ist bereits eine virtuelle Welt, in der wir konstant über unsere Smartphones verbunden sind, interagieren und mal mehr und mal weniger wir selbst sind. Ich glaube, der Darstellungsmodus ändert sich, aber vieles von der Nutzungsmotivation ist schon da. Computerspiele wie Fortnite, Roblox und Co. liefern mit ihrer Dynamik, ihrer Interaktion via Avataren, dort stattfindenden virtuellen Events, aber auch mit ihren Creator-Tools und eigenen Wertschöpfungsketten schon einen guten Ausblick auf das, was uns da wahrscheinlich noch erwarten wird. 

Also ist das Metaverse längst da?

Simon Graff: Das Metaverse existiert in einem bestimmten Maße. Wir haben viele der dafür notwendigen Datenstrukturen und eine permanente Konnektivität. Große Unternehmen wie Google und Apple scannen die Welt in 3D und bilden sie nach. Google Maps ist am Ende nichts anderes als eine Virtualisierung der realen Welt. Das wird in den nächsten Jahren weiter vorangetrieben werden und der Zugang dorthin wird sich ändern – ob per Smartphone-Kamera oder Smartglasses, wie VR-Brillen. Es ist jetzt noch ein bisschen früh, um zu sagen, wie das Metaverse am Ende konkret aussehen wird, aber wir erleben schon jetzt, dass die Grundstruktur dafür funktional existent ist. Pokémon Go ist ein weiteres Beispiel: Ich laufe durch die echte Welt, erlebe dort aber eigentlich ein fiktives Abenteuer. Ich fange kleine Monster und spiele gemeinsam mit anderen Menschen. 

Seit diversen Dekaden schauen wir jetzt auf Bildschirme, auf 2D-Quader, die Content darstellen. Dabei sind wir dreidimensionale Wesen. Das Metaverse ist die Weiterentwicklung des Internets. Es ist eine räumliche Computer-Ebene, die das Dreidimensionale erlebbar macht.

Wie werden wir am Metaverse teilnehmen?

Simon Graff: Es ist ein großer Irrtum anzunehmen, dass es beim Metaverse nur um VR-Brillen geht. Natürlich möchte Mark Zuckerberg, dass wir auf seinen Plattformen seine Services nutzen. Aber ob wir das am Ende über das Smartphone oder eine VR-Brille machen, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. VR-Brillen sind dabei nur ein Teil der Metaverse-Strategie von Meta, nicht aber das einzige Fenster in die entstehenden virtuelle Welt. Das zeichnet sich schon jetzt dadurch ab, dass die Services, die er und seine Firma aufbauen, holistisch sind, was ihre Technologie angeht. Die Anwendungen erlauben die Nutzung mit verschiedenen Devices. Diese Multi-Devices-Strategie fahren alle anderen Unternehmen ebenfalls. Es gibt also ein Spektrum an Geräten, mit denen wir ins Metaverse reingehen werden. 

Aber zugegebenermaßen: Ich glaube, dass Datenbrillen in den nächsten zehn Jahren eine neue Normalität erleben. Wir werden wahrscheinlich nicht immer mit einem Smartphone vor den Augen durch die Straßen laufen, sondern irgendwann Datenbrillen tragen. Dafür gibt es verschiedene Indikatoren. Der Markt an Smartphones ist gesättigt. Alle großen Unternehmen von Samsung bis Apple arbeiten an entsprechenden Datenbrillen. Oder Kontaktlinsen, daran wird ja auch geforscht. 

Das Wichtige ist aber vor allem die Struktur und Software-Lösungen zu haben, die es möglich machen, dreidimensional zu kooperieren und zu konsumieren. 

Facebook heißt jetzt Meta. Der Namenswechsel kommt nicht von ungefähr. Müssen wir befürchten, dass Mark Zuckerberg bald das Metaverse kontrollieren kann?  

Simon Graff: Dieses ganze dystopische „Mark Zuckerberg möchte, dass wir alle in Facebook-Wonderland leben“ ist totaler Unsinn. Meta will selbstverständlich im Metaverse eine wichtige Rolle spielen und das werden sie vermutlich auch mit all den Milliarden, die sie in die Entwicklung pumpen. Aber sie können nicht alles allein machen oder gar totalitär kontrollieren. Das halte ich für unmöglich, denn auch ein Meta wird nicht alle komplexen Einzelteile eines entstehenden Metaverses kontrollieren können. Dazu gibt es in der Industrie zu viele Akteure. Es ist wichtig ist zu verstehen, dass nicht nur Meta allein am „Metaverse“ arbeitet, sondern alle großen Tech-Firmen, wirklich alle, von der Westküste der USA bis nach Shanghai arbeiten an eigenen Lösungen. Und das auch bereits seit Jahren.

Das Metaverse gilt als Weiterentwicklung des Internets. Wie grundlegend wird der Wandel sein?

Simon Graff: Nur weil es diese Version vom Metaverse gibt, wird nicht alles drumherum automatisch verschwinden. Das will man ja häufig voraussehen: Jetzt kommt das Fernsehen, deswegen wird es kein Kino mehr geben usw. Die Mediengeschichte hat gezeigt, dass sich neue Anwendungen immer graduell entwickeln und verbreiten. Natürlich, es wird nicht alles so bleiben, wie es ist. Unser Internet von heute ist auch nicht mehr das, was es noch für fünf Jahren war. Das heißt allerdings nicht, dass alles Bekannte verschwinden wird. Trotz Spotify gibt es heute noch Menschen, die Vinyl-Platten kaufen. Das Fernsehen ist nicht ausgestorben und es gibt sogar Leute, die laufen auch heute noch mit einem Nokia 3210 rum. Es wird auch nach wie vor 2D-Inhalte geben. Aber das Metaverse wird kommen und seine Elemente sind schon heute vorhanden. 

Wie wird das Metaverse unsere Art der Kommunikation verändern?

Simon Graff: Wir würden wahrscheinlich in fünf bis zehn Jahren dieses Interview ganz selbstverständlich in einer Hologramm-Variante führen, also in einer erweiterten Realität – in unserem echten Raum und nur ergänzt umeinander – oder in einem komplett virtuellen Raum, der ganz anders aussehen kann und keinerlei physikalischen Gesetzgebung unterliegt. Wir können ein solches Interview übrigens auch heute schon führen. Für mich ist der logische Schritt, dass wir als dreidimensionale Wesen bestimmte Dinge lieber in einem dreidimensionalen Raum tun, weil sie sich natürlich anfühlen. Selbstverständlich werden wir nicht immer komplett ins Metaverse abtauchen. Das ist Quatsch. Aber es wird eine Rolle in unserer alltäglichen Kommunikation spielen.

Welche Rolle kann es für den Journalismus spielen?

Simon Graff: Es gibt zwei Ebenen für mich. Die eine ist die Entwicklung digitaler Räume und diese als Chance für neuen Content und Beobachtungen zu begreifen. Also auch als einen Ort wahrzunehmen, zu dem Journalist:innen hingehen, ihn und die Auswirkungen dieser virtuellen Welt erforschen. Wir habe Korrespondent:innen dort, die von aktuellen Trends, Welten und Erlebnissen berichten. Aufgrund ihrer journalistischen Kompetenzen beleuchten sie aber auch klar, was das mit dem Menschen macht. Schon jetzt bewegen sich Menschen auf Plattformen wie Facebook, Telegram oder Instagram in Filterblasen. Wie ist es, wenn diese Filterblasen plötzlich interaktiv sind und Menschen befähigen, all ihre Fantasien oder kruden Ideen zu leben? Wird das zu einer weiteren Spaltung führen? Diese Dimension wahrzunehmen, aber auch als Chance zu begreifen, das frühzeitig zu thematisieren, das denke ich, wird noch super relevant werden. 

Die andere Ebene ist zu schauen: Wie steht man als Medienunternehmen selbst in dieser Welt da? Wie möchte man dort stattfinden? Hat man Repräsentanzen und wenn ja, wie können diese aussehen? Baut man stumpf das Verlagshaus nach? Ich lehne mich weit aus dem Fenster und sage, so etwas kann es vielleicht in erster Instanz geben, wird aber dem Potential des Spatial Computing absolut nicht gerecht, da der Nachbau der Realität in diesem Kontext keinen konkreten Mehrwert liefern würde. Charmanter finde ich die Idee von Themenräumen, ähnlich wie man sie vielleicht aus Museen kennt, vielleicht ein bisschen interaktiver, um die Chancen des Mediums zu nutzen. Jedes Ressort der Publikation, die dort im Metaverse stattfindet, hat einen eigenen Themenraum, wo ich beispielsweise Dokumentation erleben und die Themen richtig eintauchen kann. Dazu gehört auch die faszinierende Überlegung zu schauen: Wie können wir dort unsere Geschichten erzählen, auf Missstände oder Probleme hinweisen und das nachvollziehbar inszenieren?   

Wie nehmen Medien schon jetzt am Metaverse teil?

Simon Graff: Wenn wir sagen, wir reden über das Metaverse als großen Überbegriff, dann haben wir darunter Schlüsseltechnologien: virtuelle und erweiterte (augmented) Realität, mit denen bereits seit vielen Jahren unterschiedliche Verlagshäuser und Produktionsstudios experimentieren. Es gibt zum Beispiel die Doku-Reihe „When we stayed home“, die zeigt, wie die größten Städte der Welt während der Pandemie nahezu menschenleer waren – ein schönes wie erschreckendes Zeitzeugnis. Oder es gibt auch den Film „Surviving 9/11“, über die letzte geborgene Überlebende der Terroranschläge von New York. Das ist wirklich eine Zeitreise, in die man sich da begibt und die sehr aufwendig reproduziert worden ist.  

Du sprichst vom immersiven Journalismus, der eine unmittelbare und uneingeschränkte (fiktive) Teilhabe am Geschehen ermöglicht. Das ist ja nichts Neues, oder?

Simon Graff: Viele dieser immersiven Journalismus Cases sind schon gut durchdacht und werden gut erzählt. Sie kränkeln aber alle daran, dass sie keine Reichweiten aufbauen können, also die wenigsten Menschen, gucken sich das so an. Im Journalismus geht es aber darum die Menschen zu erreichen. Wenn das Metaverse mehr Mainstream wird, auf welchen Plattform auch immer, dann haben wir auf jeden Fall sehr viel mehr End-Geräte, die auf diesen Schlüsseltechnologien basieren. Dann haben wir eine Basis geschaffen. 

Aber ja, viele dieser Cases greifen bereits die Stärken auf, die das Metaverse ausmachen: Körperlichkeit, Immersion, das Gehen an bestimmte Orte. Da sehe ich kein großes Differenzial zwischen dem immersiven Journalismus, wie wir ihn schon jetzt erleben und den Erzählmöglichkeiten im Metaverse. Es geht für mich eher darum: Wenn ich auf dem Sofa sitze und mir den ganzen Tag mit einer Mixed-Reality-Brille Inhalte anschaue, dann surfe ich durchs Metaverse und bleibe möglicherweise bei immersiven und journalistsichen Inhalten hängen. Vielleicht kann ich mich dann in die Nachrichtenwelten von der FAZ, vom SPIEGEL oder von was auch immer teleportieren. Ich werde also solche Beiträge mehr und mehr rezipieren, weil es bereits Teil meines Alltags, meines Entertainments geworden ist. Unser Modus Operandi, unser Konsumverhalten, wird sich dahingehend verändern. Das wird natürlich noch dauern, aber ich sehe darin eine große Chance für den immersiven Journalismus.

Es ist auch keine Entweder-oder-Sache: Genauso gut kann ich 2D-Inhalte weiterhin konsumieren aber nun vielleicht mit anderen Menschen, die am anderen Ende der Welt sitzen, mich aber in einem 3D-Raum treffen. So etwas ist auch bereits möglich und findet schon statt.

Wie wird es mit dem Metaverse weitergehen? 

Simon Graff: Nach all den Jahren mit virtueller und erweiterter Realität habe ich auf einmal das Gefühl, dass die breite Masse mit dem Begriff des Metaverse konfrontiert wird. Das merkt man auch an den Headlines von Medien, die nicht tech-fokussiert sind. Das Metaverse, so diffus es auch ist, wird von der Masse als ein Raum verstanden, den man betreten kann. Wie das jetzt konkret aussieht und über welche Anwendungen es geschieht, halte ich erst einmal für unerheblich. Es wird noch viel passieren. Die Karten werden ständig neu gemischt. Allein Meta aka Facebook hat in den vergangenen fünf Jahren bestimmt vier oder fünf Social-VR-Versuche an den Start gebracht und keiner davon hat so richtig gezündet. 

Der Begriff ist also erst einmal positioniert. Es ist ein schönes Buzzword, das von allen gerade gerne verwendet wird. Dass der aktuelle Hype zunächst wieder abnehmen wird, halte ich für nicht unrealistisch. Ähnliche Phasen erleben wir in der Tech-Welt regelmäßig, es entsteht viel Buzz, Interesse, aber die Technologie kann den Erwartungen noch nicht gerecht werden. Das ist ein wiederkehrendes Muster, das auch im Gartner Hype-Cycle gut dargestellt wird. 

Der Hype um das Metaverse könnte also möglichweise wieder abnehmen, der Begriff wird aber nicht verschwinden. Wie gesagt, alle großen Tech-Firmen arbeiten derzeit an ihren eigenen Lösungen. Die werden sie vermutlich parallel präsentieren und irgendwann wird es nicht mehr befremdlich sein, dass man sich auch mit 3D irgendwo einwählt oder als Avatar an einem Zoom-Meeting teilnimmt. Die Grenzen werden verschwimmen. 

Es braucht vermutlich eine Marke, um dem Metaverse im Mainstream mehr Momentum zu geben. Wenn es zum Beispiel eine Marke wie Apple schafft, Begehrlichkeiten zu wecken, dann hat das einen kritischen Impact darauf, wie Menschen bestimmte Geräte kaufen und nutzen. Das haben wir schon oft gesehen. Vom iPhone über iPad bis hin zu den am Anfang noch als Zahnbürstenköpfe verschrienen AirPods, mit denen heute komischerweise doch eine Menge Menschen rumlaufen. So eine Firma hat das Potenzial, die entsprechende Hardware für das Metaverse in die Massen zu tragen. Und wenn das passiert, dann ist es einfach nur noch eine graduelle Entwicklung. Das Verschmelzen von Virtualität und Realität wird einfach noch weiter voranschreiten.  

In seiner Keynote hat Mark Zuckerberg den Zeitrahmen von fünf bis zehn Jahren genannt. Ich denke, das passt gut. Ja, vieles von dem, was er beschreibt, ist noch nicht möglich. Aber die Weichen dafür werden jetzt gestellt. 

Simon Graff, Experte für Metaverse und Extented Reality » mehr erfahren

Simon Graff, Experte für Metaverse und Extented Reality -

Simon Graff startete 2013 als leidenschaftlicher VR-Enthusiast mit dem DK1 von Oculus in die virtuelle Realität. Er betreute zuletzt als Director Innovation die XR- und Innovations-Projekte der Hamburger Medienagentur ROBA Impact, bevor er 2021 die Metaverse Agentur FOR REAL?! gründete, die ihren Fokus auf Beratung an der Schnittstelle von digitalen Trends, virtuellen Räumen und (XR) Technologie legt. Außerdem ist Simon als Speaker, Mentor, Beirat und Berater aktiv. 2017 gehörte er zudem zum Gründungsteam der XR-Standortinitiative nextReality.Hamburg e.V., deren Vorsitz er seit 2019 bekleidet.