Zukunft des Paid Content: Interessante Alternativen zur harten Paywall
Über die Frage, wie sich mehr zahlungswillige Leser:innen finden lassen, verweisen Medienexpert:innen auf alternative Formen der Paywall. Wir fassen einige der interessantesten Ansätze zusammen:
Die dynamische Paywall ist eine Art Zwischenmodell. Bei dynamischen Bezahlschranken gelten nicht für alle Leser:innen die gleichen Beschränkungen. Sie basieren auf den Gewohnheiten und personalisierten Daten der einzelnen Nutzer:innen. Die Verleger können wählen, wie restriktiv oder flexibel ihre dynamische Bezahlschranke sein soll. Wenn also Daten zeigen, dass es länger dauert, bis die Leser:innen von Sportberichten außerhalb des primären Verbreitungsgebiets zu einem kostenpflichtigen Abonnement wechseln, könnte ein Nachrichtenunternehmen theoretisch mehr Geduld mit diesen Leser:innen haben und ihnen mehr Berichte liefern, bevor sie die Paywall erreichen. Dieses Modell bietet sich allerdings nur für Medienunternehmen an, die entsprechende Daten sammeln und diese auch auswerten.
Damit einher geht der entscheidende Ansatz des Personalisierens, auf den zukünftige Paywall-Modelle fußen werden, wie Expert:innen voraussagen. Jeder und jede Leser:in hat eine einzigartige Beziehung zu einem Nachrichtenmedium und nicht jedes Modell spricht alle gleich gut an. "There isn't a one-size-fits-all approach", sagt Howard Saltz von der Knight Foundation und ehemaliger Herausgeber und Chefredakteur. Es gibt also keine Einheitslösung. Auch die eingangs zitierte Pia Frey sieht darin den richtigen Weg und prognostiziert für das Medienjahr 2022 "die Trendwende weg vom Vollsortiment und hin zum bezahlpflichtigen Spartenkanal“. Auch hier macht die Datenanalyse die Personalisierung erst möglich. Zeitungsverlage gehen davon aus, dass Menschen mit demografischen oder verhaltensbedingten Ähnlichkeiten einen ähnlichen Nachrichtenkonsum zeigen. Nutzer:innen könnten zukünftig jeweils als Kohorte gesehen werden, auf die Paywall und Marketing entsprechend zugeschnitten sind.
Nicht nur die Fokussierung auf einen Spartenkanal wird helfen, große Abo-Pakete zu entzerren und damit für die Einzelne oder den Einzelnen attraktiver zu machen. Pia Frey schlägt vor, auf Personenmarken zu setzen: „Menschen fällt es deutlich leichter, eine Beziehung zu Menschen aufzubauen, als zu Unternehmen und zu abstrakten Organisationen.“ Als Beispiel gibt sie die Lieblingskolumnistin an, deren Inhalte dann ab sofort per Abo erhältlich sind.
Der Paywall-Check
Wie stark sind Paywalls im Journalismus derzeit verbreitet? Welche Bezahlmodelle funktionieren besonders gut? Lies hier unseren Paywall-Check.
"2022 is the year that publishers can, will, and should start offering daily passes to read articles.", sieht Brian Moritz in der, wie jedes Jahr, viel beachteten Medienvorhersagen des NiemanLabs voraus. Brian Moritz, Assistant Professor an der St. Bonaventure Universität in New York, spielt damit auf das Prinzip Micropayment an. In diesem Zusammenhang wird oft die Idee gebracht, Leser:innen könnten einen Dollar oder Euro pro Artikel bezahlen, ganz ohne Abo. Das erscheint Moritz zu teuer. Nur wenige Cent(s) als Kaufpreis wäre auch keine Alternative, da sich hoher Aufwand und gleichzeitig wenig Ertrag kaum lohnen würden. Stattdessen bringt der Journalismus-Dozent den Begriff einer Tageskarte für Nachrichtennutzer:innen ins Spiel. Seine Idee: Für einen Dollar erhält man 24 Stunden lang Zugang zu allen Artikeln auf einer Website. Einen Schritt weiter geht das britische Unternehmen Axate, das ein flexibles Bezahlinstrument auf den Markt gebracht hat. Einmal registriert, können Leser:innen so viel Geld in eine Art digitales Wallet hochladen, wie sie möchten. Von diesem Budget lassen sich dann einzelne Artikel auf den Websites der mit Axate kooperieren Medien kaufen. Für Unternehmen soll es auf der anderen Seite der "simpelste Weg" sein, ihren Inhalt zu monetarisieren. Bislang ist Axate nicht in Deutschland erhältlich und auch die britische Liste teilnehmender Unternehmen lässt große Mediaplayer vermissen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das deutsche Articlett mit seiner Journalismus-App. Hier lassen sich bereits große Namen im Angebot finden (Süddeutsche Zeitung, Tagesschau und taz) sowie ausgewählte Magazine. Beide Anwendungen gehen mit großen Schritten Richtung des viel beschworenen "Spotify für Journalismus", einer Plattform, die mehrere Anbieter bündeln könnte. Noch decken sowohl Axate, als auch Articlett den Medienmarkt nur in Teilen ab, um diesen Anspruch erheben zu können. Ähnliche Formate sind auf dem Vormarsch. Ob es bald ein journalistisches Pendant zu Spotify geben wird, bleibt daher mit Interesse zu beobachten.
Kooperationen könnten eine weitere Einnahmequelle darstellen. In den USA erhalten T-Mobile-Kund:innen beispielsweise ein kostenloses Jahresabonnement für The Athletic als Teil ihres Vertrags. Solche Kooperation sollten jedoch wohl bedacht ob der potentiellen Partner:innen sein, sollten diese außerhalb der Medienbranche kommen. Weniger konfliktbehaftet könnte dagegen die verlagsübergreifende Kooperation sein. Im Zuge der Corona-Pandemie bot Amedia AS, das zweitgrößte Medienunternehmen Norwegens, den Leser:innen seiner Nachrichtenwebsites mit "+alt" ein ganz neues Abo-Modell an: Mit der Wahl dieses Abonnements erhielten die Nutzer:innen Zugang zu allen lokalen Titeln des Verlags. So war es fortan möglich, sich über die Nachrichten in der eigenen Region zu informieren und gleichzeitig die Nachrichten in Teilen des Landes zu lesen, die von Belang waren, weil dort beispielsweise Freund:innen und Familie lebten. Ursprünglich wollte Amedia AS 50.000 zahlende Nutzer:innen gewinnen. Acht Monate nach dem Launch im Mai 2020 waren es bereits 120.000 Abonnent:innen.
Eine Umsatzstrategie, die auch in der digitalen Welt des Nachrichtenkonsums Sinn macht: Angebote und Rabatte. In Großbritannien erhalten Student:innen (The Times) und Angestellte des staatlichen Gesundheitswesens (The Telegraph) vergünstigte Abos. Andere Zeitungen werben mit Angeboten, zu besonderen Anlässen und Tagen, wie zum Beispiel zu Black Friday.
Schließlich wollen wir hier noch die durchlässigen oder hybriden Paywalls vorstellen. Auch sie dienen dazu, die Nutzer:innen durch ein besonderes Angebot zu locken. Anlassbezogen erlauben Nachrichtenwebsites einen freien Zugang auf bestimmten Themen. Besonders zu Beginn der Pandemie boten Zeitungen weltweit ihre Artikel zum Coronavirus kostenlos an. Der dänische Verlag Politiken ermöglichte bis Ende November 2021 den kostenlosen Zugang zu seinen Artikeln, damit die Leser:innen unter anderem über die UN-Klimakonferenz in Glasgow und die dänischen Regional- und Kommunalwahlen informiert werden konnten.
Lese-Tipp: 50 Ways to Make Media Pay
Einige dieser Ansätze stammen aus "50 Ways to Make Media Pay" des US-Amerikaners Damian Radcliffe, Journalismus-Professor an der Universität von Oregon. Der Report ist frei erhältlich (Registrierung erforderlich) und empfiehlt sich, um tiefer in die einzelnen Modelle einzusteigen.