Exklusiv-Interview

ZDF-Mediathek: Die Reise geht weiter Richtung Streaming-Plattform

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Screenshot: zdf.de

Welches Potenzial steckt in der ZDF-Mediathek? Wir sprechen mit Dr. Eckart Gaddum, Leiter der Hauptredaktion Digitale Medien im ZDF, über Status quo und Zukunft beim Zweiten Deutschen Fernsehen.

Inwieweit unterscheiden sich die Zielgruppen und tatsächliche Zuschauer:innen von TV und Mediathek?

Dr. Eckart Gaddum: Nach wie vor stellen die TV-getrieben BesucherInnen der Mediathek ("Sendung verpasst") ein gewichtiges Potenzial dar. TV liefert einen Nutzungspush für die Plattform. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber internationalen Streaming-Plattformen. Nonlinearität bedeutet Freiheit bei der Auswahl des Inhalts und Nutzungszeitpunkts. Auch klassische TV-Stoffe erweisen sich unter diesen Umständen als attraktiv. Insofern sind beide Ausspieladressen nach wie vor eng verbunden.  Zusätzlich kommen dann Inhalte, zum Beispiel von FUNK, oder auch eigens für die Mediathek konzipierte hinzu. Unsere Nutzerschaft ist im Schnitt 48 Jahre alt. Damit haben wir den Fuß zu einem jüngeren Publikum in der Tür. Wir werden unser Angebot deutlich verjüngen. Der Alterskorridor 29 bis 49 ist unsere zentrale Zielgruppe. Es geht darum, die Lücke zwischen ZDFtivi, KiKa, funk und dem älteren linearen TV noch attraktiver zu schließen. 

Welche Inhalte funktionieren in der Mediathek besser als im linearen TV-Angebot?

In der Mediathek funktionieren Serien, Dokus, Comedy/Satire sehr gut. Das ist allerdings auch im TV so. Starke Marken wie die "heute show" laufen linear wie nonlinear erfolgreich - auf YouTube in ihre Einzelteile zerlegt.  An vielen Stellen liegt der Unterschied weniger im Inhalt an sich als in der Art der Aufbereitung. TV-Zuschauern muss man immer wieder Einstiegspunkte in einen linear ablaufenden Inhalt anbieten, im Netz kann man durcherzählen. Moderierte Magazinformate sind im Fernsehen erfolgreich, in der Mediathek sind sie nicht das Mittel der Wahl. Im TV muss "Terra X" sein Publikum sonntags zwischen 19:30 und 20:15 Uhr gewinnen, im Netz kann es seine Nutzerschaft über Monate, manchmal auch Jahre aufbauen. Wie Sie sehen, ist die Frage nach dem Vergleich von Erfolg komplex. 

Inwieweit dient die ZDF-Mediathek als Experimentierfläche für neue Inhalte?

Experimentieren ist essenziell, allerdings nicht nur in der Mediathek, auch im Fernsehen. Das hält uns wach! Aktuell probieren wir auf dem Sendeplatz von ZDF-Zoom eine ganze Reihe von eigentlich für die Mediathek konzeptionierten Inhalten aus. Sie sollen eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Manches funktioniert auf beiden Plattformen, anderes nur mäßig. Natürlich erlaubt die Mediathek auch, auf spitzere Zielgruppen zu formatieren. Im Fernsehen kann sowas den Flow eines ganzen Programmabends verhageln. Nonlinear geht insofern mehr.    

In welchem Umfang produziert das ZDF Inhalte ausschließlich für die Mediatheken?

"Online Only" ist kein Wert an sich. Warum soll ein Stoff nicht auf mehreren Plattformen – unterschiedlich konfiguriert – verarbeitet werden? Das zu versuchen gebietet schon der verantwortungsvolle Umgang mit dem Geld, das uns die Beitragszahler:innen geben. "Online first", also ein primär für die Mediathek konzipiertes Format, trifft es da schon eher.  Hier haben wir zum Beispiel in den Genres Doku und Fiktion bereits deutlich ausgebaut und werden sehr offensiv voran gehen.  Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist unsere Dokuserie "Herz und Viren", die Pfleger:innen, Ärzt:innen und Hebammen in ihrem Klinikalltag zeigt. Neben den im Zentrum stehenden und für die Mediathek entwickelten acht Folgen der Serie wurde der Inhalt auch für unser lineares Tagesmagazin "hallo Deutschland" und den ZDFheute-YouTube-Kanal konfektioniert.

Welche Rolle spielen Plattformen-Giganten wie Netflix und Disney+? Konkurrent auf Augenhöhe oder dienen die internationalen Plattformen eher auch als Orientierung in Bezug auf Bildästhetik oder Trends bei Themen?

Wer auch immer Zuschauer:innen und Nutzer:innen in Deutschland mediale Zeit abgewinnen kann, wird von uns beobachtet, deshalb natürlich auch Netflix und Co. Trotzdem unterscheidet uns vieles. Wir senden Live und für vor allem in und für Deutschland. Wir übertragen große Events wie Fußballweltmeisterschaften. Dagegen produziert Netflix immer mit Blick auf ein internationales Publikum und mit kommerziellen Interessen. Das ist legitim, aber hat natürlich Folgen an zentraler Stelle. Zum Beispiel im Umgang mit Algorithmen. Das ZDF ist mit der Personalisierung der Mediathek bereits weit vorne. Wir entwickeln unsere Algorithmen selbst und wollen sie transparent machen. Bei den anderen sind sie gut gehütetes Geschäftsgeheimnis.  Wir richten unsere Empfehlungen auf Vielfalt und Diversität aus. Das funktioniert. Das ist sehr erfolgreich. Für die internationale Konkurrenz muss all das kein Kriterium sein. 

Wie will die ARD ihre Mediathek weiter ausbauen? Wir haben mit Jonas Bedford-Strohm, Transformation-Strategist bei ARD-Online, gesprochen. Hier geht's zum Interview.

Wie sieht die aktuelle Berichterstattung in der Mediathek im Vergleich zum TV-Angebot aus?

Für die nachrichtliche Aktualität steht vor allem ZDFheute, also unser Nachrichtenportal. Das haben wir in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut und wächst erfreulich. Formate wie das heute journal oder die 19 Uhr heute-Sendung gehören zur DNA des ZDF. Sie stehen immer auf der Startseite der Mediathek.  Olympische Spiele übertragen wir in vielen parallelen Livestreams und der Krieg in der Ukraine war vor allem zu Beginn, als es sehr vieles hintergründig zu erklären gab, auch für die Mediathek ein TOP-Thema. Kurz und gut: Wer Info und Aktualität in der Mediathek sucht, findet sie. Trotzdem tickt die Mediathek nicht nach den Regeln eines Nachrichtenportals. Das liegt in der Natur der Sache. 

Welche aktuellen und zukünftigen Investitionen plant der Sender in Bezug auf seine Mediathek? Können Sie Zahlen nennen, Angaben zum Ausbau des Angebots etc.?

Strategisch geht die Reise weiter Richtung Streaming-Plattform, vor allem für ein jüngeres Publikum, das weniger TV-getrieben unterwegs ist. Der öffentlich-rechtliche Auftrag lautet bekanntlich, unserem Publikum ein plurales, diverses Angebot auf hohem Niveau zu machen. Das ist heute nötiger denn je. Der Schlüssel dazu sind natürlich gute Inhalte. Aber die Leute sollen auch einfach Spaß haben, in der Mediathek zu surfen. Sie sollen passgenau finden, was sie suchen. Sie sollen unserem Umgang mit ihren Daten vertrauen. Das treibt uns an.      

Im Juni 2021 verkündeten ZDF und ARD die Schaffung eines gemeinsamen Streaming-Angebots. Wie ist der aktuelle Stand und was sind die Beweggründe für so einen Schritt? Lässt sich schon etwas zu den geplanten Features wie dem Personalisierungs- und Empfehlungssystem sagen?

Wir wollen ein gemeinsame Netzwerk aus unseren Streaming-Angeboten aufbauen. Es soll unseren Nutzern die Chance geben, die beiden großen Mediatheken durchlässig zu erleben, ohne die jeweils eigene Handschrift der beiden Sender aufzugeben. Inhalte von Funk, ARTE und 3sat findet das Publikum dort schon. Schritt für Schritt wollen wir wechselseitige Empfehlungen anbieten sowie Suche und Login verknüpfen. Dazu gehen wir eine enge technologische Partnerschaft ein. Ein großer Kosmos öffentlich-rechtlicher Inhalte, so glauben wir, ist das beste was man für sein Publikum tun kann.   

Wie schätzen Sie die aktuelle und zukünftige Bedeutung der Mediatheken auf dem Markt ein - auch im Vergleich zum linearen Fernsehen?

Für mich gibt es kein Gegeneinander. Beides findet sein Publikum. Beides stützt sich. Die Mediatheken öffnen dem ZDF viele neue Möglichkeiten. Vor wenigen Tagen haben wir eine der legendärsten Gesprächsformate in der Geschichte des deutschen Fernsehens online gestellt. "Zur Person" - Herbert Wehner, Hannah Arendt, Günther Grass und viele andere zu Gast bei Günter Gaus. Da lebt ein Stück Deutschland der 60er Jahre wieder auf. Nach und nach wollen wir den Schatz unseres jetzt voll digitalisierten ZDF-Archivs heben. Und im kommenden Jahr wird das ZDF den "Schwarm" von Schätzing als Binge in die Mediathek stellen. Das soll ein Erlebnis von digitaler Zukunft werden.  

Dr. Eckart Gaddum ist Leiter der Hauptredaktion Digitale Medien im ZDF. Die Hauptredaktion Digitale Medien ist zuständig für die ZDFmediathek und die übergreifende Steuerung des Onlineprozesses im ZDF sowie für den ZDF-Teletext und die Barrierefreiheit. Copyright: ZDF/Rico Rossival