Podcast-Folge: Alte GroKo, neue GroKo?
In der zweiten Folge von "11011 Berlin" sind Philipp Albrecht (CDU) und Ana-Maria Trăsnea (SPD) zu Gast. Wir sprechen mit ihnen über die Arbeit der Großen Koalition.
Philipp Albrecht von der CDU und Ana-Maria Trăsnea (SPD) ziehen Bilanz. Ihre beiden Parteien stellen seit acht Jahren am Stück die Regierung. Eine "Liebesheirat" ist diese Große Koalition (GroKo) nicht, sagt Philipp in unserem Podcast. Haben es CDU und SPD dennoch geschafft, in den vergangenen Jahren Reformen auf den Weg zu bringen? Wir bitten Ana-Maria und Philipp, ihren Regierungsparteien ein Zeugnis auszustellen. Wir liefern aber auch eine objektive Bewertung. Dr. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie zur GroKo herausgegeben, die heißt: "Besser als ihr Ruf. Halbzeitbilanz der Großen Koalition zur Umsetzung des Koalitionsvertrages 2018."
GroKo-Bilanz: Regierung hat gute Arbeit geleistet
Bei allen Differenzen sind sich Ana-Maria und Philipp einig, dass die Regierung im Großen und Ganzen gute Arbeit geleistet hat. Auch wenn Philipp nach eigener Aussage kein Fan der GroKo ist und im September auf eine neue Koalition hofft, ist er zufrieden mit dem, was Union und SPD geschafft haben. Auch Ana-Maria sagt, dass die Sozialdemokraten "das meiste rausgeholt" und die Minister:innen wie Olaf Scholz oder Franziska Giffey einen guten Job gemacht haben. Sie spricht von "sozialdemokratischen Akzenten", die man in der Regierungsarbeit durchaus sehe. Vor allem in der Gleichstellungspolitik oder auch bei der Mindestrente konnte die SPD, so Ana-Maria, Erfolge verbuchen. Ihr fehle aber etwa eine Reform des Transsexuellengesetzes oder den Abschaffung der Paragrafen 218 und 219a zu Schwangerschaftsabbrüchen bzw. zum Informationsverbot selbiger.
Auch Philipp sieht Erfolge - etwa bei der Grundrente, der inneren Sicherheit und in der Wirtschaftspolitik, auch in der ersten Phase der Coronakrise habe die Regierung klug agiert. Dennoch schiebt er ein "Aber" hinterher: "Das bezieht sich alles mehr auf die Verwaltung. Ich wünsche mir eine Regierung, die gestalten kann, die neue Projekte anstößt."
Zur Zusammenarbeit der vergangenen Jahre findet er harte Worte: Seiner Meinung nach handele die SPD nicht danach, was die Bürger:innen wollen. Es gehe immer um soziale Gerechtigkeit - ohne Zweifel wichtig -, aber es sei egal, ob der Mindestlohn nun zehn oder elf Euro hoch sei. Auch eine alleinerziehende Mutter interessiere sich wohl nicht für eine Frauenquote in Vorständen, "die hat andere Sorgen". Ana-Maria widerspricht, die SPD habe auf Sorgen und Probleme immer zügig reagiert - etwa mit schnellen Finanzhilfen während der Coronakrise oder beim Thema häuslicher Gewalt und der Aufstockung der Frauenhäuser.
Junge Politiker:innen können Akzente setzen - auch in CDU und SPD
Viele junge Menschen sehen sich durch die CDU und auch durch die SPD nicht gut vertreten. Bei den Sozialdemokrat:innen sind nur acht Prozent der Mitglieder unter 30 Jahre, dennoch findet Ana-Maria, dass die SPD sie und generell junge Politiker:innen gut unterstützt - vor allem durch die Jungen Sozialist:innen (Jusos). Sie macht deutlich, dass die Jusos immer wieder auch politisch Akzente setzen und der "Mutterpartei" Impulse gibt. Philipp bescheinigt seiner Union, dass sie jungen Menschen in schwierigen Zeiten wie etwa Corona durchaus Haltung und auch Stabilität geben kann. Aber es sei noch viel zu tun, dass die CDU in Gänze umdenkt und jungen Menschen mehr Raum bietet.
Der GroKo fehlt ein Narrativ: Wofür steht die Regierung eigentlich?
Der Eindruck der jungen Politiker:innen bestätigt sich: Selbst die Halbzeitbilanz der GroKo fällt bereits gut aus - an Zweidrittel der Regierungsvorhaben konnte sie schon nach der Hälfte der Zeit einen Haken setzen. Dennoch nehmen die Bürger:innen das gar nicht wahr. Ein Kommunikationsproblem? Ja, sagt Ana-Maria deutlich. Die Arbeit in der Koalition sei kein Wunschkonzert, man müsse Kompromisse machen - und darin könnte eine Erklärung für die große Diskrepanz zwischen tatsächlicher politischer Leistung und der öffentlichen Wahrnehmung eben jener liegen.
Experte Dr. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung hat sich mit der Halbzeitbilanz der GroKo beschäftigt und führt noch einen weiteren Grund an: Skepsis der Bürger:innen. Die Bevölkerung gehe generell erst einmal nicht davon aus, dass die Politiker:innen ihre Versprechen halten - und dann schauen sie auch nicht mehr so genau hin, wie die Arbeit wirklich aussieht. Was der GroKo aber tatsächlich gefehlt habe, sei ein Narrativ, die große Erzählung hinter der Politik, kurz: die Antwort auf die Frage, wofür die Regierung eigentlich steht. Außerdem habe die Große Koalition zwar nach innen gut funktioniert und auch harmoniert, aber Differenzen wurden oftmals auf der großen Bühne in der Öffentlichkeit ausgetragen. Dies habe oft den Eindruck vermittelt, dass die CDU und SPD nicht gut zusammengearbeitet hätten.
Rot-Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder doch Ampel?
Sowohl Philipp als auch Ana-Maria sind beide keine großen Befürworter:innen der aktuellen Regierung - auch wenn sie durchaus Erfolge in der politischen Arbeit sehen. Für Ana-Maria wäre ein Regierungswechsel nach acht Jahren nötig, weshalb die Sozialdemokratin für ein "progressives linkes Bündnis" kämpft. Das könne Rot-Grün, Rot-Rot-Grün mit der Linken oder auch eine "Ampel" aus SPD, Grüne und FDP sein. Philipp steht für eine Koalition aus CDU und FDP, weiß aber noch nicht, wie realistisch das ist. Er könne sich trotz Bedenken auch noch einmal eine GroKo vorstellen.
Ziele: Digitalisierung und Gleichstellung als wichtige Themen
Doch was wollen die Jungpolitiker:innen erreichen, wenn sie gewählt werden? Philipp sieht die Digitalisierung und den Ausbau von Internet und Mobilfunk als besonders wichtig an. Aber er möchte auch den Mittelstand stärken und die Bürokratie in Deutschland vereinfachen. Wer coole Projekte hat, sollte diese auch umsetzen können, ohne das zig öffentliche Stellen Steine in den Weg legen, sagt er. Ana-Maria möchte neben der schon angesprochenen Digitalisierung unter anderem die Gleichstellung von Mann und Frau vorantreiben, den Schutz vor häuslicher Gewalt garantieren und das Potenzial der ostdeutschen Länder fördern.